Die Meisterin der schwarzen Kunst
schneit? Machst du dir denn keine Sorgen um ihn?»
Agatha warf ihr einen scharfen Blick zu. «Er hat seine Gründe, selbst zu gehen», herrschte sie ihre Pflegetochter an. «Komm mit ins Haus. Wir müssen den Knechten eine Mahlzeit vorsetzen!»
Hahn konnte nicht abstreiten, dass er Heidelberg mochte und sich gern in der Stadt aufhielt. Er war voller Bewunderung für die prächtigen Kirchen, die stattlichen Hallen der Kaufmannsgilden und die mit bunten Wimpeln geschmückten Zunfthäuser um den Marktplatz herum. Das Schloss, oben auf dem waldreichen Berg, jagte ihm jedes Mal, wenn er es sah, einen Schauer der Ehrfurcht über den Rücken. Staunend schob er seinen Karren über das Pflaster, vorbei an den einladenden Wirtshäusern, die müde Reisende aufforderten, sich mit einem Humpen kühlen Biers den Staub der Landstraße aus der Kehle zu spülen.
Hahn beeilte sich, seine Hüte abzuliefern. Bevor der Abend hereinbrach, war er erschöpft. Das Geschrei der Marktfrauen, der Klang der Glocken und das Geplauder seiner Kunden hallten in seinen Ohren. Doch dafür klimperte ein hübsches Sümmchen im Beutel an seinem Gürtel. Agatha würde zufrieden sein.
Sooft Hahn in der Stadt war, nahm er sich eine Kammer in einem alten, von wilden Weinranken bewachsenen Haus, das abseits vom Lärm des Marktes in einer ruhigen Seitenstraße gelegen war. Im Erdgeschoss befand sich eine Küferei, und die Frau des Küfers kannte den Hutmacher seit vielen Jahren. Sie war froh, ein Zimmer vermieten und Hahn gleichzeitig mit allerlei Neuigkeiten aus der Stadt versorgen zu können. Mit gerührter Stimme berichtete sie davon, dass der Kurfürst unlängst entschieden habe, seinen Ältesten, den von allen vergötterten Prinz Friedrich, fortzuschicken. In Sedan sollte er eine höfische Erziehung erhalten, die ihn dazu befähigte, eines Tages mit Weisheit über die ausgedehnten Landesteile der Pfalz zu herrschen. Die Heidelberger Bürger, so schwärmte die Küferfrau, verehrten den Prinzen, während sie mit dem alten Fürsten nicht mehr so gut auskämen. In der Stadt munkelte man von nächtlichen Trinkgelagen und Wutausbrüchen, die sich auch gegen die Kurfürstin richteten. Die Ärmste umgebe sich fast nur noch mit Vertrauten aus ihrer niederländischen Heimat, weil sie den Hofschranzen und Lakaien ihres Gemahls nicht mehr über den Weg traute.
Hahn lauschte der Frau des Küfers in der Stube bei einem Becher Wein, hatte jedoch bald genug von Klatsch und Tratsch. Außerdem mochte er es nicht, wenn geringschätzig über den Fürsten geredet wurde, selbst wenn die Geschichten der Wahrheit entsprachen. Er entschuldigte sich wortkarg und zog sich in seine Kammer zurück. Bevor er Heidelberg verließ, hatte er noch eine Pflicht zu erfüllen, die er nicht versäumen durfte. Die jährliche Verabredung mit dem Mann an der Heiliggeistkirche stand bevor. Hahn durfte nicht zu spät aus den Federn kommen.
Als er früh am nächsten Morgen erwachte, war es draußen noch stockfinster. Er fühlte sich kaum ausgeruhter als am Vorabend, sein Kopf schmerzte, und er hätte sich am liebsten noch einmal auf dem Lager umgedreht. Aber er verbot sich, dieser Verlockung nachzugeben. Wenigstens wollte er sich die Morgenandacht ersparen und das Haus seiner Wirtsleute verlassen, ehe der Küfermeister die Lampen anzünden und seine alte Familienbibel aufschlagen konnte.
Auf dem Weg über den Marktplatz sah er nur ein paar streunende Katzen, die sich um Fischgräten stritten. Er vernahm das Plätschern des Marktbrunnens und das Meckern einiger Ziegen, die in einem Verschlag darauf warteten, auf den Viehmarkt getrieben zu werden. Die Luft war feucht und kalt; morgendlicher Nebel waberte durch die schmalen Gassen.
Hahn konnte nicht umhin, sich an den Tag zu erinnern, an dem er der sterbenden Frau sein Versprechen gegeben hatte, sich um Henrika zu kümmern. Er erinnerte sich, wie schrecklich er damals gefroren hatte. Und nicht anders erging es ihm jetzt.
Vor dem alten Marktkreuz blieb er kurz stehen, um zu verschnaufen. Hinter den bunten Scheiben des prächtigen Tuchhändlerhauses sah er Kerzenlicht aufflackern. Er blickte die Fassade empor, bis zu dem geöffneten Fenster, wo zwei Frauen sich mit ausgebreiteten Armen wuschen. Schamvoll wandte er sich ab, dem Portal der Kirche zu. Er hoffte, dass der Mann bereits auf ihn wartete, ihm den Beutel in die Hand drückte und verschwand. Er fühlte sich nicht wohl genug, um lange auf ihn zu warten. Jedes Mal, wenn er dem Mann
Weitere Kostenlose Bücher