Die Meisterin der schwarzen Kunst
Großes hier auf Erden vorhat. Deine Mutter gehört weder zu den einen noch zu den anderen.»
Die Kranke rang mühsam nach Atem. Ihre Augen waren geschlossen bis auf einen winzigen Spalt, durch den sie ihre Tochter zu beobachten schien. Zweifellos hatte sie Agathas Ausbruch mit angehört.
«Wir werden dich und deine Mutter mit zu uns nach Hause nehmen», verkündete Hahn und staunte dabei selbst über seine Worte. Es war ihm völlig gleichgültig, was seine Frau dachte oder sagte. Dieses eine Mal würde er nicht nachgeben.
«Habe ich dich richtig verstanden? Du willst dieses geschundene Pack mit ins Dorf nehmen?» Angriffslustig stemmte Agatha die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an. «Ich fürchte, mein lieber Hahn, dass du nun völlig den Verstand verloren hast. Niemals werde ich das zulassen. Du setzt nicht nur unseren guten Ruf aufs Spiel, sondern bringst auch unser aller Seelenheil in Gefahr!»
Hahn wollte etwas entgegnen, schwieg aber. Gewiss hätte er versuchen können, Agathas Bedenken auszuräumen, denn obwohl er die Heilige Schrift nicht annähernd so gut kannte wie sie, fiel ihm ein, dass auch der Heiland einst einer Ehebrecherin begegnet war und denjenigen aufgefordert hatte, den ersten Stein auf sie zu werfen, der ohne Sünde war. Aber da Hahn wusste, dass er bei Agatha ohnehin auf taube Ohren stoßen würde, zuckte er nur trotzig mit den Schultern.
Das Mädchen hatte sich vor dem Krankenlager seiner Mutter niedergelassen und fing an, ein Lied zu singen. Es erzählte von einem See, in dem sich wunderschöne Wesen tummelten. Kein Mensch durfte sie jemals sehen, aber sie waren da, um Gutes zu tun, wann immer ihre Hilfe gebraucht wurde. Im Lied des Mädchens versuchten die Geschöpfe des Sees den Fischern in ihren Booten etwas mitzuteilen, doch die Männer stellten sich taub oder verstanden ihre Botschaft nicht. So blieb die Kluft zwischen ihrem Reich und der Welt oberhalb der Wasseroberfläche bestehen, ohne dass sie einander berührten.
Die Melodie des Liedes klang fremdartig, jedenfalls anders als die Musik, die Hahn kannte, doch war sie gleichzeitig so rührend, dass selbst Agatha voller Staunen die Brauen hob. Hahn spürte in seinem Herzen Sehnsucht nach etwas, das er nicht benennen konnte.
Als das Mädchen die Augen schloss und die Hände auf die Stirn seiner Mutter legte, war es um Agathas Selbstbeherrschung geschehen. Sie schrie das Kind an und verlangte, es solle auf der Stelle still sein.
«Aber ich kann sie gesund machen», begehrte das Mädchen noch einmal auf.
«Und ich will nichts mehr von diesem abscheulichen Hexenkram hören!» Agatha Hahn packte die Kleine am Handgelenk und zerrte sie vom Lager der Sterbenden fort. Hahn hätte schwören mögen, dass es während des Gesangs der Kleinen im Raum wärmer geworden war und die graue Haut der Kranken einen leicht rosigen Schimmer angenommen hatte. Doch dies war wohl eine Täuschung gewesen, denn noch immer heulte draußen der Wind unbarmherzig um das alte Gemäuer. Es war finster, und über dem eingefallenen Gesicht der Gebrandmarkten lauerte ein Schatten, der von Moment zu Moment tiefer auf sie herabsank.
«Lasst mich bei ihr bleiben, ihr dürft mich nicht wegbringen», schrie das Mädchen. Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass ein kalter Schauer über Hahns Rücken lief. «Ich bin die Einzige, die ihr helfen kann. Lasst mich mein Lied zu Ende singen.» Sie fing an zu weinen.
«Schluss jetzt, du stures Balg.» Agatha verpasste dem Kind mit der flachen Hand eine Ohrfeige. «Ich werde nicht dulden, dass du in meiner Gegenwart … Au …» Ein Tritt gegen das Bein ließ Agatha aufheulen. Doch nachdem sich ihre Verblüffung gelegt hatte, gewann der Zorn wieder die Oberhand. Zeternd schleifte sie das Kind aus der Kammer. Als die Tür unter lautem Wehgeschrei ins Schloss fiel, hob die Fremde auf dem Deckenlager hilflos den Kopf und bat Hahn mit einer schwachen Handbewegung, zu ihr zu treten.
«Sie hat nicht gelogen», erklärte sie mit gebrochener Stimme. «Henrika wurde mit besonderen Gaben geboren, auch wenn ich mir wünschte, sie hätte niemals von diesen Dingen erfahren. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich meinen Frieden mit Gott mache und Henrika nicht mehr an mich denkt. Aber wenn ich doch nur …» Die Fieberkrämpfe, die ihren schmächtigen Körper erbeben ließen, schienen ihr den Atem zu rauben. Sie brauchte keine Lieder von verwunschenen Seen mehr, so viel stand für Hahn fest. Mit letzter Kraft richtete sie
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