Die Meisterin der schwarzen Kunst
niemals über Henrikas Unbeholfenheit gelacht oder ungehörige Witze über ihre Mutter gerissen. Im Gegenteil, die Wirtin hatte die Mägde zur Ordnung gerufen, die es ihr gegenüber an Achtung fehlen ließen, und den Gästen klargemacht, dass Henrika Gutmeister, ungeachtet ihrer zweifelhaften Herkunft, zu ihrer Verwandtschaft gehörte. Da Elisabeths Wort im Dorf Gewicht hatte, wagten die wenigsten, ihr zu widersprechen. So war Henrika schon früh in ihrem Leben zu einer Tante und einem Vetter gekommen, denen sie vertraute, denn auch Lutz, Elisabeths Sohn, hatte sie von Kindheit an als Spielkameradin akzeptiert. Es war daher nicht weiter verwunderlich, dass Henrika jede Gelegenheit nutzte, um ihre Verwandten im Gasthaus zu besuchen. An ihrem Pflegevater hing sie indes mit Dankbarkeit, denn immerhin versorgte er sie mit allem, was sie mit ihren bald zwanzig Jahren zum Leben brauchte. Seit ihrem siebzehnten Geburtstag musste sie nicht mehr gemeinsam mit der griesgrämigen Magd in der Küche schlafen, sondern bewohnte eine winzige Kammer hinter der Werkstatt. Der Hutmacher hatte darauf bestanden und seiner Frau klargemacht, dass es sich nicht ziemte, Henrika den Blicken der Gesellen auszusetzen, die manchmal mitten in der Nacht in die Küche schlichen, um ihre immerzu knurrenden Mägen zu füllen. Henrika mochte Hahn und bedauerte es, dass er sich nur selten dazu bequemte, mit ihr zu reden. Trug er ihr in der Werkstatt eine Arbeit auf, so tat er es mit knappen Worten, ohne sie dabei wirklich wahrzunehmen. Er schien mit seinen Gedanken stets woanders zu sein, und dorthin ließ er keinen anderen Menschen blicken. Henrika erinnerte sich nicht daran, dass er ihr jemals freundlich in die Wange gekniffen oder übers Haar gestreichelt hatte, wie Elisabeth es oft bei Lutz tat. Seit sie erwachsen war, kam es ihr so vor, als wäre er noch schweigsamer geworden. Er ging ihr aus dem Weg und verschanzte sich in seiner Werkstatt zwischen Leim, Filz und Tierhäuten.
Henrikas Pflegemutter Agatha war da schon leichter zu durchschauen. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr die Anwesenheit des Mädchens in ihrem Haus nicht behagte. Sie lehnte Henrika ab, bemühte sich aber dennoch, sie zu erziehen. Niemand im Dorf sollte ihr nachsagen können, ein Mitglied ihres Haushalts sehe liederlich aus und benehme sich nicht gottesfürchtig. Was Henrikas zweifelhafte Herkunft betraf, so hatte die Meisterin neugierige Fragen anfangs nur mit Trotz beantwortet, doch als die Gemeindeältesten und der Dorfschreiber auf das fremde Kind im Haus der Hahns aufmerksam geworden waren, hatte sie erkannt, dass sie nicht alle ihre Nachbarn mit ein paar dürren Worten abspeisen konnte. Daher hatte sie beschlossen, sich den Ältesten anzuvertrauen und die rührselige Geschichte vom Kind einer Sünderin zu erzählen, der sie eines Abends zufällig im Nebel begegnet waren. War es nicht ihre Pflicht, das Mädchen davor zu bewahren, eines Tages eine Hure zu werden wie ihre gebrandmarkte Mutter? Von dem Geld, das sie jedes Jahr pünktlich vor dem ersten Frost in ihrer Truhe einschloss, hatte sie den Gemeindeältesten nichts verraten. Wozu auch? Die Herren hatten nach ihrem Besuch Tränen in den Augen gehabt, so sehr hatte sie das empfindsame Herz der Hutmacherin gerührt. Und sie hatten ihr hoch und heilig versprochen, niemals ein Wort über die Herkunft der unglückseligen Henrika zu verlieren.
Am nächsten Morgen hatte jedermann im Dorf Bescheid gewusst. Wochenlang war darüber gelästert worden, dass ausgerechnet die Hahns das Kind einer in Schande Gestorbenen bei sich duldeten. Ja, der Hutmacher und seine Frau mussten miterleben, wie sich im Dorf zwei Parteien bildeten. Die einen achteten die Hahns wegen ihrer Güte, die anderen warfen ihnen Dummheit vor. Was beide Gruppen einte, war ihr Misstrauen gegenüber Henrika. Manch eine der Bauersfrauen behauptete, in den dunklen Augen des Kindes ein sonderbares Blitzen, in ihrer Miene einen heimtückischen Zug wahrzunehmen. Man munkelte, dass ein kalter Wind aufkäme, wann immer Henrika an der Hand ihrer Pflegemutter über den Dorfanger lief. Ob sie nun Wäsche wusch, zur Kirche ging oder vor der Werkstatttür des Hutmachers Butter stampfte – im Dorf gewöhnte man sich rasch an, um Henrika einen großen Bogen zu machen.
Elisabeth unterdrückte ein Gähnen; mit einer müden Handbewegung bat sie Henrika, die Gäste zu verabschieden und die Tür zu schließen.
«Heute klopfen meine Füße, als schimpften sie
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