Die Meistersinger von Nürnberg
denken, wie der Knieriemen tut!
(Er packt alles zusammen und geht in die Kammer ab.)
Sachs (immer noch den Folianten auf dem Schoße, lehnt sich, mit untergestütztem Arme, sinnend darauf; es scheint, daß ihn das Gespräch mit David gar nicht aus seinem Nachdenken gestört hat) :
Wahn! Wahn! Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick'
in Stadt- und Weltchronik,
den Grund mir aufzufinden,
warum gar bis aufs Blut
die Leut' sich quälen und schinden
in unnütz toller Wut!
Hat keiner Lohn noch Dank davon:
in Flucht geschlagen, wähnt er zu jagen.
Hört nicht sein eigen Schmerzgekreisch,
wenn er sich wühlt ins eig'ne Fleisch,
wähnt Lust sich zu erzeigen.
Wer gibt den Namen an?
‘s ist halt der alte Wahn,
ohn' den nichts mag geschehen,
‘s mag gehen oder stehen!
Steht's wo im Lauf,
er schläft nur neue Kraft sich an;
gleich wacht er auf,
dann schaut, wer ihn bemeistern kann!
Wie friedsam treuer Sitten
getrost in Tat und Werk,
liegt nicht in Deutschlands Mitten
mein liebes Nürenberg!
(Er blickt mit freudiger Begeisterung ruhig vor sich hin.)
Doch eines Abends spat,
ein Unglück zu verhüten,
bei jugendheißen Gemüten,
ein Mann weiß sich nicht Rat;
ein Schuster in seinem Laden
zieht an des Wahnes Faden.
Wie bald auf Gassen und Straßen
fängt der da an zu rasen!
Mann, Weib, Gesell und Kind
fällt sich da an wie toll und blind;
und will's der Wahn gesegnen,
nun muß es Prügel regnen,
mit Hieben, Stoß' und Dreschen
den Wutesbrand zu löschen.
Gott weiß, wie das geschah? –
Ein Kobold half wohl da!
Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht;
der hat den Schaden angericht't.
Der Flieder war's:
Johannisnacht. –
Nun aber kam Johannistag! –
Jetzt schau'n wir, wie Hans Sachs es macht,
daß er den Wahn fein lenken kann,
ein edler' Werk zu tun.
Denn läßt er uns nicht ruh'n
selbst hier in Nürenberg,
so sei's um solche Werk',
die selten vor gemeinen Dingen
und nie ohn' ein'gen Wahn gelingen.
Zweite Szene
(Walther tritt unter der Kammertür ein. Er bleibt einen Augenblick dort stehen und blickt auf Sachs. Dieser wendet sich und läßt den Folianten auf den Boden gleiten.)
Sachs: Grüß Gott, mein Junker! Ruhtet Ihr noch? Ihr wachtet lang:
nun schlieft Ihr doch?
Walther (sehr ruhig) :
Ein wenig, aber fest und gut.
Sachs: So ist Euch nun wohl baß zumut?
Walther (immer sehr ruhig) :
Ich hatt' einen wunderschönen Traum.
Sachs: Das deutet Gut's! Erzählt mir den.
Walther: Ihn selbst zu denken wag' ich kaum; ich fürcht' ihn mir vergeh'n zu sehn.
Sachs: Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk,
daß er sein Träumen deut' und merk'.
Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan:
all Dichtkunst und Poeterei
ist nichts als Wahrtraumdeuterei.
Was gilt's, es gab der Traum Euch ein,
wie heut' Ihr sollet Meister sein?
Walther (sehr ruhig) :
Nein, von der Zunft und ihren Meistern
wollt' sich mein Traumbild nicht begeistern.
Sachs: Doch lehrt' es wohl den Zauberspruch, mit dem Ihr sie gewännet?
Walther (etwas lebhafter) :
Wie wähnt Ihr doch nach solchem Bruch, wenn Ihr noch Hoffnung kennet!
Sachs: Die Hoffnung laß ich mir nicht mindern,
nichts stieß sie noch über'n Haufen.
Wär's nicht, glaubt, statt Eure Flucht zu hindern,
wär' ich selbst mit Euch fortgelaufen!
Drum bitt ich, laßt den Groll jetzt ruh'n;
Ihr habt's mit Ehrenmännern zu tun,
die irren sich und sind bequem,
daß man auf ihre Weise sie nähm'.
Wer Preise erkennt und Preise stellt,
der will am End' auch, daß man ihm gefällt.
Eu'r Lied, das hat ihnen bang gemacht;
und das mit Recht:
denn wohlbedacht,
mit solchem Dicht'- und Liebesfeuer
verführt man wohl Töchter zum Abenteuer;
doch für liebseligen Ehestand
man andre Wort' und Weisen fand.
Walther (lächelnd) :
Die kenn' ich nun auch seit dieser Nacht:
es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.
Sachs (lachend) :
Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu
hörtet Ihr auch! – Doch, laßt dem Ruh'
und folgt meinem Rate, kurz und gut,
faßt zu einem Meisterliede Mut.
Walther: Ein schönes Lied, ein Meisterlied, wie faß ich da den Unterschied?
Sachs (zart) :
Mein Freund! In holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt'gen Trieben
zum sel'gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen
mocht' vielen da gelingen:
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterzeit,
viel Not und Sorg' im Leben,
manch ehlich Glück daneben,
Kindtauf', Geschäfte, Zwist und Streit:
denen's dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht, Meister nennt man
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