Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
Achseln.
›Nur zu!‹ fuhr er lärmend fort. ›Immer dieselbe alte Geschichte. Mehr im Kopf als in der Tasche, stimmt’s? Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie eine Praxis in der Brook Street einrichten könnten?‹
Ich starrte ihn überrascht an.
›Oh, das liegt in meinem Interesse, nicht in Ihrem‹, rief er. ›Ich will ganz offen sein, und wenn es Ihnen recht ist, soll es mir auch recht sein. Ich habe ein paar Tausend anzulegen und dachte mir, ich investiere sie in Sie.‹
›Aber warum?‹ stieß ich hervor.
›Nun, das ist eine Spekulation wie jede andere, eigentlich sicherer als die meisten anderen.‹
›Was muß ich denn tun?‹
›Das werde ich Ihnen sagen. Ich miete das Haus, richte es ein, bezahle die Dienstboten und führe überhaupt das ganze Unternehmen. Sie haben nichts zu tun, als Ihren Stuhl im Ordinationszimmer abzuwetzen. Sie bekommen Taschengeld und alles, was Sie brauchen. Dafür überlassen Sie mir drei Viertel Ihrer Honorare. Ein Viertel können Sie für sich behalten.‹
Es war ein seltsamer Vorschlag, Mr. Holmes, den mir dieser Blessington machte. Ich möchte Sie nicht mit einem Bericht darüber langweilen, wie wir handelten und verhandelten. Das Ganze endete damit, daß ich am Tag Mariä Verkündigung das Haus bezog und zu fast den Bedingungen, die er vorgeschlagen hatte, zu praktizieren begann. Er wohnte mit darin in der Rolle eines Dauerpatienten. Es schien, daß er ein schwaches Herz hatte und ständig medizinische Beobachtung brauchte. Er richtete sich die beiden besten Räume in der ersten Etage als Wohn- und Schlafzimmer ein. Er ist ein Mann mit merkwürdigen Gewohnheiten, der Gesellschaft flieht und sehr selten aus dem Haus geht. Sein Leben kann man als unregelmäßig bezeichnen, aber in einer Hinsicht ist es die Regelmäßigkeit selbst. Jeden Abend zur gleichen Zeit kommt er in das Ordinationszimmer, überprüft die Geschäftsbücher, legt fünf Shilling und drei Pence für jede Guinea, die ich verdiene, auf den Tisch und trägt den Rest in den Safe in seinem Zimmer.
Ich kann wohl mit Überzeugung sagen, daß er nie Grund hatte, seine Spekulation zu bereuen. Die Praxis ging von Anfang an gut. Einige erfolgreich behandelte Krankheitsfälle und der Ruf, den ich mir im Hospital erworben hatte, brachten mich schnell voran, und während der letzten beiden Jahre habe ich ihn zu einem reichen Mann gemacht.
Soviel, Mr. Holmes, über meine Vergangenheit und meine Beziehungen zu Mr. Blessington. Jetzt bleibt mir nur noch, zu erzählen, was sich ereignete, weswegen ich bei Ihnen bin.
Vor einigen Wochen kam Mr. Blessington in ziemlicher Erregung zu mir herunter. Er sprach von einem Einbruch, der, wie er sagte, in West End verübt worden sei, und ich erinnere mich, daß er darüber ganz unnötig außer sich geriet und erklärte, er werde noch am selben Tag für stärkere Riegel an den Fenstern und Türen sorgen. Eine Woche lang blieb er in diesem besonderen Stadium der Erregung, spähte andauernd aus den Fenstern und machte auch nicht den kurzen Spaziergang, den er täglich vor dem Dinner unternahm. Sein Verhalten drängte mir die Vermutung auf, er müsse schreckliche Angst vor irgend etwas oder vor irgend jemandem haben. Aber als ich ihn daraufhin ansprach, wurde er so aggressiv, daß ich das Thema fallenließ. Allmählich schien sich im Lauf der Zeit seine Furcht zu legen, er nahm wieder seine Gewohnheiten auf. Dann aber stürzte ihn eine neuerliche Begebenheit in den Zustand erbarmenswürdiger Verstörung, in dem er sich jetzt befindet.
Was geschah, war folgendes. Vor zwei Tagen erhielt ich den Brief, den ich Ihnen vorlesen möchte. Er trägt weder eine Adresse noch ein Datum.
›Ein russischer Edelmann‹, so beginnt er, ›der jetzt in England lebt, erbittet von Dr. Percy Trevelyan Hilfe. Er leidet seit einigen Jahren an kataleptischen Attacken, und bekanntermaßen gilt Dr. Trevelyan als Kapazität auf diesem Gebiet. Der Herr möchte morgen abend um Viertel nach sechs vorsprechen, wenn Dr. Trevelyan es ermöglichen kann, zu Hause zu sein.‹
Der Brief erregte stark mein Interesse, denn die Schwierigkeit bei der Erforschung der Katalepsie liegt darin, daß die Krankheit selten ist. So könnten Sie mir schon glauben, daß ich zu der angegebenen Stunde in meinem Ordinationszimmer war, als der Diener den Patienten hereinführte.
Es war ein magerer, älterer Mann, der schicklich, aber ganz durchschnittlich aussah –
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