Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort
Junipa gepackt und benutzte sie wie einen Schild. Ihre Füße baumelten einen halben Meter über dem Boden.
Merle fiel auf, dass der Sphinx nicht sicher stand. Den rechten Vorderlauf hatte er gerade so weit angewinkelt, dass die Ballen der Pranke nicht mehr den Schnee berührten. Er hatte Schmerzen, und er war verzweifelt. Gerade das machte ihn unberechenbar.
Merle vergaß die Kälte, den eisigen Wind, sogar ihre Angst. „Dir geschieht nichts", redete sie Junipa zu, nicht sicher, ob ihre Stimme die Freundin erreichte. Junipa sah aus, als zöge sie sich mit jedem Atemzug ein wenig tiefer in sich selbst zurück.
Vermithrax machte einen Schritt auf den Sphinx zu. Der wich, seine Geisel fest im Griff, nach hinten aus.
„Bleib stehen", sagte er gepresst. Die Glut des Obsidianlöwen reflektierte in seinen Augen. Er verstand nicht, wer oder was da vor ihm stand: ein mächtiger geflügelter Löwe, der wie ein Stück frisch geschmiedetes Eisen erstrahlte - nie zuvor hatte der Sphinx solch ein Wesen gesehen.
Diesmal gehorchte Vermithrax der Aufforderung und blieb stehen. „Wie ist dein Name, Sphinx?", fragte er grollend.
„Simphater."
„Gut, Simphater, dann denke nach. Wenn du dem Mädchen ein Haar krümmst, werde ich dich töten.
Du weißt, dass ich das kann. So schnell, dass du es nicht einmal spürst. Aber auch langsam, wenn du mich wütend machst."
Simphater blinzelte. Blut lief ihm ins linke Auge, aber er hatte keine Hand frei, um es fortzuwischen.
„Bleib stehen!"
„Das hast du bereits gesagt."
Merle sah, wie sich die Sehnen und Muskeln in den Armen des Sphinx spannten. Er veränderte seinen Griff, packte Junipa jetzt an beiden Oberarmen und hielt sie weiterhin frei in der Luft.
Er zerreißt sie, durchfuhr es sie panisch. Er wird sie einfach entzweireißen!
„Nein", sagte die Königin ohne rechte Überzeugungskraft.
Er bringt sie um. Der Schmerz treibt ihn in den Wahnsinn.
„Sphinxe ertragen weit mehr Schmerz als ihr Menschen."
Vermithrax strahlte endlose Geduld aus. „Simphater, du bist ein Krieger, und ich werde nicht versuchen, dich zu belügen. Du weißt, dass ich dich nicht laufen lassen kann. Trotzdem habe ich kein Interesse an deinem Tod. Du kannst diese Barke fliegen, und wir wollen fort von hier. Das trifft sich gut, findest du nicht?"
„Wozu die Barke?", sagte Simphater irritiert. „Wir haben gekämpft, dort oben. Du kannst fliegen. Du brauchst mich nicht."
„Nicht ich. Aber die Mädchen. Ein Flug auf meinem Rücken würde sie bei dieser Kälte in ein paar Minuten umbringen."
Simphaters verschleierter Blick geisterte über Merle und den Löwen, um dann über das strahlende Weiß der endlosen Schneefelder zu schweifen. „Habt ihr das getan?"
Vermithrax hob eine Braue. „Was?"
„Das Eis. Der Schnee. Es schneit nicht in dieser Wüste ... das hat es noch nie."
„Nicht wir", sagte Vermithrax. „Aber wir wissen, wer dafür verantwortlich ist. Und er ist ein mächtiger Freund."
Wieder blinzelte der Sphinx. Er schien abzuwägen, ob Vermithrax ihn anlog. Wollte der Löwe ihn nur verunsichern? Sein Schwanz peitschte hin und her, und ein Schweißtropfen erschien auf seiner Stirn, trotz der eisigen Kälte.
Merle hielt den Atem an. Plötzlich nickte Simphater fast unmerklich und setzte Junipa sachte am Boden ab. Sie begriff erst, wie ihr geschah, als ihre Füße die goldene Oberfläche der Barke berührten.
Stolpernd rannte sie zu Merle hinüber. Die beiden umarmten sich, aber Merle ging nicht in Deckung. Sie wollte dem Sphinx in die Augen sehen.
Vermithrax hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er und Simphater starrten sich an.
„Du hältst dein Wort?", fragte der Sphinx und klang beinahe erstaunt.
„Gewiss. Wenn du uns von hier fortbringst."
„Und keine magischen Tricks versuchst", fügte Merle hinzu, aber jetzt war es die Stimme der Königin, die aus ihr sprach. „Ich kenne den Sphinxzauber, und ich werde wissen, wenn du versuchst, ihn anzuwenden."
Simphater starrte Merle voller Überraschung an und schien sich zu fragen, ob er das Mädchen an der Seite des Löwen unterschätzt hatte.
Niemand war erstaunter über ihre Worte als Merle selbst, aber sie machte keinen Versuch, der Königin den Gebrauch ihrer Zunge zu verwehren - auch wenn sie mittlerweile wusste, dass sie es konnte.
„Keine Magie", sagte die Königin noch einmal durch Merles Mund. Und dann fügte sie einige Worte hinzu, die weder aus Merles Sprachschatz noch aus dem irgendeines anderen Menschen
Weitere Kostenlose Bücher