Die Messerknigin
aber so recht niemanden hatte, dem sie sie hinterlassen konnte, niemanden außer Ronald und seine Frau, die eigentlich nur moderne Sachen mochten. Sie erzählte ihm auch davon, wie sie Henry im Krieg kennen gelernt hatte, denn er war beim Zivilschutz und kontrollierte vor den Fliegerangriffen die Straßen und sie hatte das Küchenfenster nicht richtig verdunkelt. Und von den Tanzfesten in der Stadt und wie sie nach London gefahren waren, als der Krieg aus war, und sie zum ersten Mal in ihrem Leben Wein getrunken hatte.
Galahad erzählte Mrs. Whitaker von seiner Mutter Elaine, die flatterhaft und nicht immer tugendhaft und obendrein eine Hexe war, von seinem Großvater König Pelles, der es zwar immer gut meinte, meistens jedoch, gelinde gesagt, ein wenig abwesend wirkte, von seiner Jugend in der Festung Bliant auf der Insel der Seligkeit und von seinem Vater, den er als »Le Chevalier Mal Fet« kannte, der mehr oder weniger vollkommen von Sinnen war und der in Wirklichkeit Lancelot du Lac hieß, einst der größte aller Ritter war und nun, seines Verstandes beraubt, im Verborgenen lebte. Und Galahad erzählte von seinen Tagen als Knappe am Hof in Camelot.
Um fünf begutachtete Mrs. Whitaker die Dachkammer und verkündete, sie sei zufrieden. Dann öffnete sie das Fenster, um den Raum zu lüften, und sie gingen hinunter in die Küche, wo sie den Kessel aufstellte.
Galahad setzte sich an den Küchentisch.
Er öffnete den Lederbeutel, den er am Gürtel trug, und entnahm ihm einen etwa faustgroßen weißen Stein.
»Hohe Frau«, sagte er. »Dies ist für Euch, wenn Ihr mir den Sangrail überlasst.«
Mrs. Whitaker nahm den Stein in die Hand. Er wog schwerer, als er aussah. Sie hielt ihn gegen das Licht. Er war milchig, aber durchsichtig, und tief in seinem Innern flimmerten und glitzerten winzige Silberflöckchen in der Spätnachmittagssonne. Er fühlte sich warm an.
Und dann überkam sie auf einmal ein eigentümliches Gefühl, während sie ihn in der Hand hielt: Ganz tief in ihrem Innern verspürte sie eine wohlige Ruhe, eine Art Frieden. Heiterkeit , das war das richtige Wort. Sie fühlte sich heiter.
Zögernd legte sie den Stein wieder auf den Tisch.
»Er ist sehr hübsch«, sagte sie.
»Dies ist der Stein der Weisen, den unser Ahn Noah in der Arche aufhing, auf dass er Licht spende, als es kein anderes Licht gab. Er kann einfache Metalle in Gold verwandeln und vieles andere mehr«, erklärte Galahad stolz. »Und das ist nicht alles. Ich habe noch mehr. Seht.« Er holte ein Ei aus dem Lederbeutel und reichte es ihr.
Es hatte etwas die Größe eine Gänseeis und war glänzend schwarz mit weißen und scharlachroten Sprenkeln. Als Mrs. Whitaker es berührte, sträubten sich die Haare in ihrem Nacken. Ihr erster Eindruck war von unglaublicher Hitze und Freiheit. Sie hörte das Knistern eines fernen Feuers und für einen Sekundenbruchteil glaubte sie, hoch über der Welt einherzuschweben, als gleite sie auf Flammenschwingen dahin.
Sie legte das Ei auf den Tisch neben den Stein der Weisen.
»Dies ist das Ei des Phönix«, sagte Galahad. »Es kommt aus dem fernen Morgenland. Eines Tages wird der Phönix herausschlüpfen und wenn die Zeit kommt, wird der Vogel sein feuriges Nest bauen, sein Ei legen und sterben, um in Flammen wiedergeboren zu werden in einem späteren Zeitalter.«
»Ich hab mir gleich gedacht, dass es das ist«, bemerkte Mrs. Whitaker.
»Und als Letztes habe ich dies für Euch mitgebracht, hohe Frau.«
Er förderte einen dritten Gegenstand zu Tage und reichte ihn ihr. Es war ein Apfel, der offenbar aus einem einzigen Rubin geformt war, an einem Stängel aus Bernstein.
Ein bisschen beunruhigt nahm sie ihn in die Hand. Er fühlte sich weich an, geradezu täuschend echt: der Druck ihrer Finger verletzte die Schale und rubinroter Saft rann über Mrs. Whitakers Hand.
Ein schwacher, kaum wahrnehmbarer Duft nach Sommerfrüchten erfüllte die Küche, nach Himbeeren und Pfirsichen und Erdbeeren und roten Johannisbeeren. Wie aus weiter Ferne hörte sie singende Stimmen und den Klang von Instrumenten.
»Es ist einer der Äpfel der Hesperiden«, sagte Galahad leise. »Ein Bissen heilt jedes Gebrechen, jede Wunde, wie tief sie auch sei, ein zweiter bringt einem Jugend und Schönheit zurück und der dritte Bissen, so heißt es, schenkt ewiges Leben.«
Mrs. Whitaker leckte den klebrigen Saft von ihrer Hand. Er schmeckte wie ein erlesener Wein.
Und plötzlich erinnerte sie sich, wusste wieder ganz genau,
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