Die Meute
»Du hast wohl alles vergessen, was ich dir beigebracht habe? Die Stadt hat dir wohl den Verstand geraubt? Das macht die verpestete Luft, die du atmest, und die Leute, die dich überall drängen und stoßen. Nein, vielen Dank, das ist nichts für mich. Ich möchte hier sterben.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich um und ging weiter.
Eine halbe Stunde waren sie schon im Wald marschiert, als Tom unter einer gewaltigen Föhre stehenblieb und sich bückte. Larry konnte zunächst nicht erkennen, was er da tat. Dann sah er die roten Flecken im Schnee und das Kaninchen, das in der Falle zappelte. »Ich dachte, du stellst keine Fallen«, sagte er fast triumphierend.
Nachdem er sich kurz an der Falle zu schaffen gemacht hatte, ging Tom weg und kam mit einem dicken Ast wieder zurück. Er hob ihn hoch und ließ ihn auf das Kaninchen niedersausen, das zu zappeln aufhörte. »Wenn du Hunger hast«, antwortete er, während er das tote Kaninchen mit seinem Messer losschnitt, »tust du, was du tun mußt, um zu überleben.«
»Leben ist mehr als nur überleben, verstehst du? Wenn du... »
Tom wollte das Thema nicht weiter fortführen. »Manchmal ist überleben genug.«
Larry bückte sich, um seinem Vater zu helfen.
»Rühr es nicht an!« schrie Tom. Dann fügte er sarkastisch hinzu: »Ich möchte nicht, daß du dir deine Stadtkleider blutig machst.« Sein Sohn würde ihn niemals verstehen.
Im Haus saß Diane mit Frieda am Kaminfeuer und versuchte, die Lage zu sondieren. »Wird Larry ihn überzeugen können?« fragte sie. Sie wußten beide, worum es ging.
Frieda strickte an einem Pullover, in den Josh erst noch würde wachsen müssen. Ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, antwortete sie mit Bestimmtheit: »Nein.«
Diane hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem Sessel, ein Magazin auf dem Schoß. Sie wartete darauf, daß ihre Schwiegermutter weitersprechen würde. Als das nicht geschah, mußte sie wohl oder übel fragen: »Warum?«
Frieda hörte zu stricken auf. »Vor vierzig Jahren hat mich Thomas Hardman auf diese Insel gebracht, und seitdem leben wir hier. Er sieht keinen Grund, jetzt von hier wegzugehen.«
»Und Sie?«
»Ich bin seine Frau.« Und im stillen fügte sie hinzu: ,Das ist etwas, was du niemals verstehen wirst.’
Auf dem Rückweg hörten die beiden Männer von irgendwoher Hundegebell. »Nur ein paar ausgesetzte Hunde«, erklärte Tom. »Sie sind hungrig.« »Und laut«, antwortete Larry. »Sind sie gefährlich?« »Es sind eben Hunde«, erwiderte Tom leicht irritiert.
Der große Schäferhund führte die Meute zur westlichen Seite des Grabens. Von dort schlich die Rotte an den kleinen, verlassenen Häusern entlang. Sie waren auf der Suche nach Beute.
3.
In dieser Nacht konnte Larry nicht schlafen. Obwohl seine Beine von dem langen Marsch schmerzten und sein Körper erschöpft war, fand er keine Ruhe. Neben ihm schlief Diane fest und tief.
Schließlich erhob er sich und ging zum Fenster. Der Vollmond stand hoch am wolkenlosen Himmel. Gedankenverloren starrte Larry hinaus.
Draußen bewegte sich etwas.
Erinnerungen an seine Jugend kehrten in sein Gedächtnis zurück - Gesichter von Freunden ...
Wieder rührte sich etwas.
Er riß sich von seinen Gedanken los und starrte hinunter. Aber da war nichts. Nichts bewegte sich.
Hatte ihm seine Phantasie einen Streich gespielt? Waren es Zweige gewesen, die sich im leichten Wind bewegt hatten? Angestrengt durchforschten seine Augen den Hof vom Graben bis zum Haus. Aber er sah immer noch nichts.
Schließlich spähte er über den Zaun zum Waldrand hinüber. Erst jetzt bemerkte er die beiden grünen, leuchtenden Augen.
Augen, die direkt auf ihn gerichtet zu sein schienen. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er versuchte auszumachen, was sich dort drüben verbarg. Aber die Schatten der Nacht erlaubten es nicht. Jetzt bewegten sich jenseits des Zauns ein paar Zweige. Ein weiteres Augenpaar starrte herüber – verschwand dann wieder.
Er stand wie erstarrt. Wurden die Alpträume seiner Jugend jetzt Wirklichkeit?
Die Augen begannen sich zu bewegen – näherten sich dem Haus.
Genauer sah er sie erst, als sie den hölzernen Steg überquerten. Zwei kleine Tiere. Hunde? Jetzt kamen sie in den Hof. Es waren Hunde. Von welcher Rasse konnte er nicht erkennen. Vorsichtig schlichen sie um das Haus, offenbar auf der Suche nach irgend etwas. Wie gelähmt verharrte Larry am Fenster.
Acht weitere Hunde waren zwischen den Bäumen hervorgekommen und
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