Die Meute
erreichen.
Sein Sohn nahm wortlos Waffe und Munition, steckte ein Geschoß in die Kammer und legte an. Mindestens zehn Jahre war es her, daß er die Winchester zum letztenmal in der Hand gehabt hatte, und erstaunt registrierte er, wie schwer sie war. Sorgfältig zielte er auf den grauen Schäferhund.
Für Thomas Hardman gab es nichts mehr zu sagen. Immer noch weigerte er sich zu glauben, daß die Hunde gefährlich seien. Seine Argumente freilich würden seinen Sohn nicht überzeugen, das wußte er.
Der Schäferhund bewegte sich nach rechts. Larry folgte ihm mit dem Lauf des Gewehrs, bis er den Kopf des Hundes wieder im Visier hatte. Er wartete, hielt den Atem an und drückte dann ab.
Er verriß ein wenig nach rechts. Die Kugel verfehlte den grauen Schäferhund und traf den Kopf des kleineren Schäferhundes, der neben ihm stand. Der Schädel des Tieres zerbarst. Blut spritzte auf die anderen Hunde. Der kopflose Körper brach zusammen, und seine letzten Herzschläge pumpten Spritzer hellroten Blutes in den Schnee.
Der Knall des Schusses hatte die anderen Tiere zurück in den Wald getrieben. Nur der Schäferhund war geblieben. Mit hochgestelltem Schwanz und gespitzten Ohren starrte er Larry fast ungläubig an. Dann heulte er schauerlich auf.
Sekundenlang war Larry nicht in der Lage, wieder zu schießen. Dann steckte er rasch eine neue Patrone in die Kammer, zielte und drückte ab. Wieder verfehlte er. Der Schäferhund blieb stehen, als könnten ihm Schüsse nichts anhaben. Schließlich wandte er sich um und trottete herausfordernd langsam zum Wald zurück. Larrys letzter Schuß, der knapp einen Meter hinter ihm einschlug, schien den Hund nicht zu erschrecken.
»Bastard!« Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, verspürte Larry große Befriedigung. Er hatte sich selbst bewiesen und die Seinen geschützt.
Sein erster Schuß war ein Zufallstreffer gewesen. Von dort, wo sie standen, konnten weder Larry noch Tom die Blutlache sehen, die sich um den Hals des getöteten Tieres bildete.
Kurz hinter dem Waldrand blieb der graue Schäferhund noch einmal stehen und schaute zum Kadaver seiner Gefährtin zurück. Von dort ging sein Blick hinüber zum Jäger. Er würde seine Rotte um sich versammeln und wieder mit ihr auf die Jagd gehen. Aber von jetzt an anders. Ausgelöscht war jetzt der vom Menschen anerzogene Respekt und Gehorsam. Eine einzige Kugel hatte alle Bande zum Menschen zerrissen.
Larry machte sich über die vierte Scheibe Roastbeef her. Der Tag hatte ihm Appetit gemacht.
»Wie dieser Schäferhund die Puppe packte«, sagte er mit halbvollem Mund. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Seine Erregung hatte sich noch nicht gelegt. »Glaubst du, daß sie zurückkommen?« fragte er seinen Vater.
Diane mischte sich ein. »Bitte, Larry«, sagte sie, »bitte, sprich nicht darüber.« Sie hatte sich zum Abendessen nicht umgezogen, was sie sonst immer tat.
»Wir müssen darüber sprechen«, entgegnete er. »Wir müssen feststellen, was hier überhaupt los ist.«
Tom wußte keine richtige Antwort. »Tiere sind unberechenbar«, sagte er schließlich. »Daß sie zurückkommen, glaube ich kaum.«
»So?«
»Hunde denken doch nicht wie Menschen.«
Frieda versuchte, die Rede auf die Kinder zu bringen. Als niemand darauf einging, stand sie auf und fing an, das Geschirr abzuspülen. Diane blieb sitzen und beobachtete sie.
»Bist du immer noch dagegen, daß man sie abschießt?« fragte Larry. »Jetzt, nachdem das passiert ist?«
Sie saßen einander gegenüber. Aber keiner blickte auf, wenn er sprach.
»Ich weiß nicht«, antwortete Tom. »Schließlich haben sie ihr ja nichts getan. »
»Dieses Mal nicht.«
»Dieses Mal nicht«, echote Tom, der endlich zu seinem Sohn aufsah. »Aber es sind doch gar keine wilden Hunde, Larry, nur ausgesetzte Haustiere. Sie kennen Kinder. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum sie Marcy nichts taten. Diese Hunde haben mit Menschen gelebt. Es sind keine Jagdhunde.«
»Glaubst du, das macht einen Unterschied?«
»Ja. Sie sind so erzogen, daß sie Menschen vertrauen, daß sie ihnen gehorchen. Je schwerer wir ihnen das machen, um so schwieriger wird es auch sein, sie unter Kontrolle zu halten – vorausgesetzt, daß überhaupt einige von ihnen den Winter noch überleben. Was ich jedoch bezweifle.
»Du glaubst also, ich habe mich heute falsch verhalten?«
Tom sagte nichts.
»Glaubst du das?«
Tom spielte mit seinem Dessertteller. »Ich weiß nicht. Jetzt ist es eben geschehen.
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