Die Meute
starrten zum Haus herüber.
Larry hätte nicht sagen können, wieviel Zeit mittlerweile vergangen war.
Jetzt kamen die beiden ersten Hunde wieder um die Ecke geschlichen. Mitten im Hof blieben sie stehen, zu den anderen Hunden gewandt, als übermittelten sie ihnen eine Botschaft. Plötzlich setzten sich die anderen Hunde in Bewegung – wie auf Kommando. Einer hinter dem anderen. Es waren zwölf. Dazu noch die zwei im Hof. Vierzehn.
Mit einer Ausnahme schienen sie alle etwa gleich groß zu sein. Wie schwarze Schatten bewegten sie sich am Haus vorbei. Die ersten beiden Hunde waren auch jetzt noch im Hof. Der kleinere der beiden trottete schließlich über den Steg und folgte den anderen.
Der im Hof zurückgebliebene Hund wartete, bis die anderen einigen Abstand gewonnen hatten, hob dann den Kopf und stieß ein langes, klagendes Heulen aus. Larry durchfuhr es eiskalt.
Ein letztes Mal wandte der Hund sich zum Haus um, verließ dann den Hof und schlich den anderen nach.
Benommen starrte Larry nach draußen, als erwartete er, daß die Spuren, die dort unten ums Haus liefen, plötzlich wieder verschwänden. Erst allmählich löste er sich aus seiner Erstarrung. Sein Mund war trocken. Die Beine taten ihm weh. Ein Schweißtropfen lief ihm langsam den Rücken hinunter.
Die Nacht war kalt und klar. Der Schäferhund saß im Hof und schaute zu seiner Meute hinüber. Nichts zu fressen hier, hatte er ihnen mitgeteilt, wir müssen weiter, heraus aus dem schützenden Wald. Der Rotte gelang es nicht mehr, die Nacht durchzuschlafen. Eisiger Todeshauch hatte sich über sie gebreitet. Jetzt würden sie jagen müssen, bis sie irgend etwas zu fressen fanden. Ganz gleich, was.
Am Frühstückstisch war Larry ungewohnt schweigsam. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu den Hunden zurück. Diane oder seiner Mutter würde er nichts davon sagen, er wollte sie nicht beunruhigen. Aber sobald er mit seinem Vater allein war, würde er die Sache mit ihm besprechen.
Die Gelegenheit dazu ergab sich am Nachmittag, als sie zusammen hinter dem Haus Holz hackten. Larry sagte zunächst nichts, sondern achtete nur darauf, im gleichen Rhythmus wie sein Vater zu arbeiten. Erst als Tom Hardman eine Pause machte, um Atem zu schöpfen, bemerkte sein Sohn beiläufig: »Die Hunde, die wir da gestern hörten – ich hab sie heute nacht vor dem Haus gesehen.«
Tom Hardman war nicht besonders groß, doch hatten ihm Jahre harter Arbeit bemerkenswerte Kräfte verliehen. Er sagte nichts, als er die Axt wieder hob und von neuem zuschlug.
»Ich frage mich, wo die herkommen«, fuhr Larry fort. »Wie lange sind sie schon hier?«
Toms Axt fuhr in das Holz. »Die machen dir Kopfzerbrechen?«
Larry zögerte nicht. »Ja, irgendwie.«
»Anderen Leuten auf dieser Insel auch. Manche glaubten, sie erschießen zu müssen. Ich hab’s ihnen ausgeredet.« Wieder lehnte er sich auf den Stiel seiner Axt.
»Larry, das sind doch nur Hunde. Verdammt hungrige Hunde vielleicht, aber eben nur Hunde.«
»Sind sie gefährlich?«
Wieder die gleiche Frage. »Nein«, sagte er und war auch davon überzeugt. »Verstehst du, diese Hunde sind ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Ein entsetzlicher Schrei ließ ihm das Blut in den Adern erstarren. Larry erkannte die Stimme sofort. Diane mußte auf der anderen Seite des Hauses sein. Er warf seine Axt weg und rannte los. Tom folgte ihm, die Axt noch in der Hand.
Zunächst begriff Larry gar nicht richtig, was geschehen war. Er sah nur Diane, die mitten im Hof stand, die Fäuste gegen den Mund gepreßt. Erst als er der Richtung ihres Blicks folgte, bemerkte er sie.
Es waren fünf. Sie saßen ruhig auf der anderen Seite des Grabens. Der graue Schäferhund vor ihnen.
Seine Tochter. Ihre Puppe im Arm, ging sie arglos auf die Gruppe der Hunde zu.
»Marcy!« schrie er entsetzt.
Das Kind wandte sich um, lächelte seinem Vater zu und deutete dann auf die fünf Tiere. »Dopey-Hunde«, erklärte sie unschuldig und ging dann weiter.
Diane wollte ihr nachlaufen, aber bevor sie zwei Schritte gemacht hatte, packte Larry sie am Arm und hielt sie fest. »Warte«, sagte er. »Du darfst sie nicht reizen.«
Tom hatte seine Axt geschultert und ging langsam auf den Steg zu. »Liebling«, sagte er ruhig, »komm her zu Grandpa.«
»Dopey«, erklärte sie wieder, als sei das die natürlichste Sache der Welt, und näherte sich den Hunden.
Die fünf Tiere ließen das Mädchen nicht aus den Augen. Für ihre farbenblinden Augen war es ein grauer Umriß
Weitere Kostenlose Bücher