Die Mglichkeit einer Insel
durchaus möglich … Ich weiß, daß der Prophet einen Sohn hat, der vor fünfunddreißig Jahren geboren worden ist, direkt nach der Gründung der Kirche, und daß er ihn ab und zu besucht hat — aber darüber hat er nie gesprochen, nicht mal mit mir. Er hat ihn mit einer seiner ersten Anhängerinnen gezeugt, aber sie hat sich kurz nach der Geburt des Kindes umgebracht.«
»Das ist richtig …«, sagte Vincent ruhig, und seiner Stimme war nur das Echo einer lange zurückliegenden Trauer anzumerken. »Meine Mutter hat seine ständige Untreue nicht ertragen und auch nicht die sexuellen Spiele zu mehreren, die er ihr aufzwang. Sie hatte sich mit ihren Eltern völlig überworfen — es war eine bürgerliche protestantische Familie aus dem Elsaß mit strengen Prinzipien, sie haben ihr nie vergeben, daß sie zu den Elohimiten gegangen ist, und am Schluß hatte sie zu niemandem mehr Kontakt. Ich bin bei meinen Großeltern väterlicherseits aufgewachsen, den Eltern des Propheten; in den ersten Jahren habe ich ihn so gut wie nie gesehen, er interessierte sich nicht für kleine Kinder. Doch nachdem ich fünfzehn geworden war, hat er mich immer öfter besucht: Er hat sich mit mir unterhalten, wollte wissen, was ich im Leben vorhatte, und schließlich hat er mich aufgefordert, in die Sekte einzutreten. Ich habe fünfzehn Jahre gezögert, ehe ich mich dazu entschloß. In der letzten Zeit hatten wir eine Beziehung, die etwas… sagen wir mal, etwas ruhiger war.«
Da wurde mir plötzlich etwas bewußt, was mir schon lange hätte auffallen müssen: Vincent hatte große Ähnlichkeit mit seinem Vater; sein Gesichtsausdruck war zwar völlig anders, sogar das genaue Gegenteil von seinem Vater, und das hatte mich wohl in die Irre geführt, aber ihre Gesichtszüge — die Gesichtsform, die Augenfarbe, die Augenbrauen — waren von auffallender Ähnlichkeit; außerdem hatten sie etwa die gleiche Größe und die gleiche Leibesfülle. Der Professor betrachtete Vincent sehr aufmerksam und schien zu der gleichen Schlußfolgerung zu kommen. Er brach schließlich das Schweigen: »Niemand weiß genau, wie weit ich mit meiner Forschungsarbeit vorangekommen bin, das haben wir völlig geheimgehalten. Wir können sehr wohl ankündigen, daß der Prophet beschlossen hat, seinen alternden Körper zu verlassen, um seinen genetischen Code auf einen neuen Organismus zu übertragen.«
»Das glaubt uns doch keiner!« entgegnete Flic sofort vehement.
»Wohl nur sehr wenige, aber wir haben von den Medien nichts mehr zu erwarten, sie sind alle gegen uns. Es wird bestimmt eine ausführliche Berichterstattung geben und allgemeine Skepsis; aber niemand kann uns etwas nachweisen, wir sind die einzigen, die über die DNA des Propheten verfügen, es gibt nirgendwo eine Kopie davon. Das Wichtigste aber ist, daß die Anhänger daran glauben, und das werden sie, schließlich bereiten wir sie seit Jahren darauf vor. Als Christus am dritten Tage auferstanden ist, hat auch niemand daran geglaubt, bis auf die ersten Christen; so haben sie sich übrigens definiert: Jene, die an die Wiederauferstehung von Christus glaubten.«
»Und was machen wir mit der Leiche?«
»Die Leiche kann ruhig gefunden werden, das ist kein Problem, solange die Verletzung am Hals nicht zu entdecken ist. Wir könnten zum Beispiel eine Vulkanspalte nutzen und die Leiche in die flüssige Lava stürzen.«
»Und Vincent? Wie sollen wir erklären, daß Vincent verschwunden ist?« Flic war sichtbar unsicher geworden, seine Einwände wurden zögernder.
»Ach, ich kenne nur wenige Leute …«, schaltete sich Vincent sorglos ein, »außerdem gelte ich als Selbstmordkandidat, niemand wird sich über mein Verschwinden wundern. Die Sache mit der Vulkanspalte ist eine gute Idee, finde ich, auf diese Weise können wir auf den Tod von Empedokles anspielen …« Er sagte mit seltsam flüssiger Stimme aus dem Gedächtnis auf: »Pausanias, du aber höre, des kundigen Anchites Sohn: Geburt gibt es von keinem einzigen unter allen sterblichen Dingen, auch nicht ein Ende im verwünschten Tode, sondern es gibt nur Mischung und Austausch der gemischten Stoffe.«
Flic dachte schweigend ein, zwei Minuten nach, dann stieß er hervor: »Wir müssen uns auch um den Italiener kümmern …« Da wußte ich, daß der Professor gesiegt hatte. Gleich darauf ließ Flic drei Wächter kommen, befahl ihnen das Gelände abzusuchen, und falls sie die Leiche finden sollten, sie in eine Decke zu hüllen und sie diskret im
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