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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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die über acht Millionen Pixel und einen halbautomatischen Spiegelreflexsucher verfügte und bei schwacher Beleuchtung lichtempfindlicher war. Flic und der Professor blieben völlig verdutzt stehen und beobachteten den armen Teufel, der im Zickzack durch den Raum hampelte und eine Aufnahme nach der anderen schoß. »Gerard, du tickst wohl nicht mehr richtig!« sagte Flic. Ich hatte auch das Gefühl, daß irgend etwas nicht mit ihm stimmte, denn er drückte mechanisch auf den Auslöser, ohne durch den Sucher zu blicken, und als er sich dem Fenster näherte, hatte ich deutlich den Eindruck, er wolle sich hinausstürzen. »Jetzt reicht's aber!« brüllte Flic. Der Humorist blieb stehen, und seine Hände zitterten derart, daß er den Apparat fallen ließ. Francesca, die immer noch zusammengekauert in der Ecke hockte, seufzte kurz auf. Der Professor blieb ebenfalls stehen, wandte sich Flic zu und blickte ihm fest in die Augen. »Wir müssen jetzt eine Entscheidung treffen …«, sagte er in sachlichem Ton.
    »Wir müssen die Polizei benachrichtigen, was anderes gibt's da nicht zu entscheiden.«
    »Wenn wir die Polizei benachrichtigen, ist es das Ende der Organisation. Diesen Skandal überleben wir nicht, das weißt du genau.«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    Es folgte wieder eine Stille, die jedoch viel angespannter war: Die Konfrontation hatte begonnen, und ich spürte, daß sie diesmal nicht auf halbem Weg abgebrochen würde; ich hatte sogar ganz deutlich das Gefühl, daß ich einen zweiten gewaltsamen Tod miterleben würde. In religiös gefärbten Vereinigungen ist der Tod eines charismatischen Führers immer ein äußerst schwieriger Moment; hat der Betreffende vorher nicht eindeutig einen Nachfolger bestimmt, kommt es fast unweigerlich zu einem Schisma.
    »Er hat viel an den Tod gedacht…«, sagte Gerard mit zitternder, fast kindlicher Stimme. »Er hat sehr oft mit mir darüber gesprochen; seine Hauptangst war, daß nach ihm alles auseinanderbrechen würde. Wir müssen etwas unternehmen, wir müssen unbedingt zu einer Einigung kommen…«
    Flic runzelte die Stirn und wandte sich halb nach ihm um, so wie man auf ein störendes Geräusch reagiert; als Gerard bewußt wurde, wie unmaßgeblich seine Meinung war, setzte er sich neben uns auf ein Sitzkissen, senkte den Kopf und legte ruhig die Hände auf die Knie.
    »Vergiß nicht, daß der Tod für uns nichts Endgültiges ist«, fuhr der Professor ruhig fort und blickte Flic fest in die Augen, »das ist sogar unser oberstes Dogma. Wir haben den genetischen Code des Propheten und brauchen daher nur noch zu warten, bis das Verfahren ausgereift ist…«
    »Sollen wir etwa zwanzig Jahre warten, bis deine Sache funktioniert?« entgegnete Flic heftig und machte nicht mal mehr den Versuch, seine Feindseligkeit zu verheimlichen. Der Professor zuckte bei der Kränkung zusammen, doch er antwortete in ruhigem Ton: »Die Christen warten schon seit zweitausend Jahren …«
    »Mag sein, aber in der Zwischenzeit mußte die Kirche gegründet und aufgebaut werden, und dafür bin ich am besten geeignet. Als Christus einen Jünger zu seinem Nachfolger bestimmen mußte, hat er Petrus auserwählt: Er zeichnete sich nicht durch eine außergewöhnliche geistige oder mystische Begabung aus, aber er war der beste Organisator.«
    »Wenn ich das Projekt aufgebe, hast du niemanden, der mich ersetzen könnte, und damit wird alle Hoffnung auf Wiederauferstehung zunichte. Ich glaube nicht, daß du unter diesen Umständen lange durchhalten kannst…«
    Es trat wieder eine Stille ein, die immer lastender wurde; ich hatte nicht den Eindruck, daß es ihnen gelingen würde, sich zu einigen, die Fronten zwischen ihnen hatten sich schon seit langer Zeit viel zu sehr verhärtet; ich sah, wie Flic in der fast völligen Dunkelheit die Fäuste ballte. In diesem Augenblick schaltete sich Vincent ein. »Ich kann die Rolle des Propheten übernehmen …«, sagte er mit lockerer, fast heiterer Stimme. Die beiden anderen fuhren hoch, Flic rannte zum Lichtschalter, um das Licht anzuknipsen, stürzte sich dann auf Vincent und schüttelte ihn: »Was sagst du da? Was sagst du da?« brüllte er ihm mitten ins Gesicht. Vincent ließ die Sache über sich ergehen und wartete, bis Flic ihn losließ, ehe er in ebenso fröhlichem Ton hinzufügte: »Immerhin bin ich sein Sohn …«
    Nachdem der erste Moment der totalen Verblüffung vorüber war, mischte sich Gerard mit jammernder Stimme ein: »Das ist möglich … Das ist

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