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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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hatte, die fliegende Untertassen verehrten, mehr Informationen besaß er nicht — und beschloß, daß es besser sei, seinen Vorgesetzten Bericht zu erstatten. Genau das hatte der Professor erwartet.
    Schon am nächsten Tag gingen die Schlagzeilen durch die Presse — nicht nur in Spanien, sondern auch in den anderen europäischen Ländern und kurz darauf im Rest der Welt. »Der Mann, der sich für unsterblich hielt«, »Die verrückte Wette des Gott-Menschen«, so ähnlich lauteten die Überschriften. Drei Tage später warteten siebenhundert Journalisten hinter der Umzäunung; BBC und CNN hatten Hubschrauber gemietet, um Fotos von dem Lager zu machen. Miskiewicz wählte fünf Journalisten aus, die für angelsächsische Wissenschaftsmagazine arbeiteten, und hielt eine kurze Pressekonferenz ab. Er schloß von vornherein die Möglichkeit aus, das Labor zu besichtigen: Die offizielle Wissenschaft habe ihn nicht anerkannt, sagte er, und ihn gezwungen, seine Forschungsarbeit in eigener Regie fortzusetzen; er habe das zur Kenntnis genommen und werde seine Ergebnisse erst dann publik machen, wenn er es für angebracht halte. Juristisch gesehen war sein Standpunkt nur schwer angreifbar: Es handelte sich um ein privates Labor, das mit privat finanzierten Mitteln arbeitete, und daher hatte er durchaus das Recht, wem auch immer den Zugang zu verwehren; das Gelände selbst sei im übrigen Privatbesitz, fügte er hinzu, das Überfliegen mit einem Helikopter und Luftaufnahmen erschienen ihm daher, rechtlich gesehen, ziemlich zweifelhaft. Außerdem arbeite er weder mit lebendigen Organismen noch mit Embryos, sondern nur mit einfachen DNA-Molekülen, und das mit schriftlicher Zustimmung des Spenders. Das Klonen mit dem Ziel der Fortpflanzung sei gewiß in vielen Ländern verboten oder eingeschränkt; hier handele es sich jedoch nicht um Klonen, und kein Gesetz verbiete es, Leben auf künstlichem Weg zu schaffen; das sei eine Forschungsrichtung, an die der Gesetzgeber ganz einfach nicht gedacht habe.
    Selbstverständlich glaubten die Journalisten anfangs nicht daran, ihre ganze Ausbildung veranlaßte sie dazu, diese Hypothese lächerlich zu machen; aber ich stellte fest, daß sie trotz allem von der Persönlichkeit des Professors, von der Präzision und der logischen Stringenz seiner Antworten beeindruckt waren; ich bin überzeugt, daß mindestens zwei unter ihnen am Ende des Gesprächs Zweifel hatten: Das reichte völlig aus, damit diese Zweifel in verstärkter Form in den Zeitschriften mit allgemeinem Informationscharakter verbreitet wurden.
    Völlig verblüfft war ich jedoch darüber, daß die Anhänger der Sache sofort vorbehaltlos Glauben schenkten. Schon am Tag nach dem Tod des Propheten hatte Flic am frühen Morgen eine Generalversammlung einberufen. Er und der Professor ergriffen das Wort und kündigten an, daß der Prophet beschlossen habe, in einer aufopfernden, hoffnungsvollen Geste als erster das Versprechen in die Tat umzusetzen. Er habe sich also in einen Vulkan gestürzt und seinen alternden Körper dem Feuer überlassen, um am dritten Tage in einem verjüngten Körper wiedergeboren zu werden. Der Prophet habe sie beauftragt, den Anhängern seine letzten Worte in seiner gegenwärtigen Inkarnation zu übermitteln, die folgendermaßen lauteten: »Wohin ich gehe, werdet auch ihr bald gehen.« Ich hatte mit heftigen Reaktionen, Aufbrausen der Menge und möglichen Gesten der Verzweiflung gerechnet, doch nichts dergleichen geschah. Beim Hinausgehen waren alle konzentriert und stumm, aber in ihren Blicken lag funkelnde Hoffnung, als hätten sie diese Nachricht schon seit langem erwartet. Ich hatte immer geglaubt, die Menschen recht gut zu kennen, aber meine Kenntnis gründete sich nur auf die üblichen, alltäglichen Motivationen: Diese Menschen dagegen waren gläubig, das war mir neu, und das änderte alles.
    Zwei Tage später verließen sie ihre Zelte mitten in der Nacht, versammelten sich spontan vor dem Labor und warteten wortlos. Unter ihnen befanden sich auch fünf Journalisten, die der Professor ausgesucht hatte und die zwei Presseagenturen — AFP und Reuters —und drei Networks angehörten, CNN, BBC und, wenn ich mich nicht irre, Sky News. Es waren auch einige spanische Polizisten aus Madrid gekommen, die eine Erklärung des Wesens, das aus dem Labor hervorkommen würde, zu Protokoll nehmen wollten — eigentlich war ihm nichts Konkretes vorzuwerfen, außer daß es eine völlig neue Situation schuf: Dieses Wesen

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