Die Mglichkeit einer Insel
Kofferraum des Geländefahrzeugs herzubringen. Es dauerte nur eine Viertelstunde: Der Unglückselige war so verwirrt gewesen, daß er versucht hatte, über den Elektrozaun zu klettern; er hatte natürlich sofort einen tödlichen Schlag bekommen. Sie legten die Leiche vor dem Bett des Propheten auf den Boden. In diesem Augenblick wachte Francesca aus ihrer Benommenheit auf, sah die Leiche ihres Gefährten und stieß laute unartikulierte, fast tierische Schreie aus. Der Professor ging auf sie zu und versetzte ihr ruhig, aber mit Nachdruck mehrere Ohrfeigen; ihr Geschrei verwandelte sich wieder in lang anhaltendes Schluchzen.
»Wir müssen uns auch um sie kümmern …«, bemerkte Flic nüchtern.
»Ich fürchte, da bleibt uns nur eine Möglichkeit.«
»Was meinst du damit?«
Vincent hatte sich zum Professor umgewandt, plötzlich völlig ernüchtert.
»Ich glaube, wir können nicht davon ausgehen, daß sie den Mund hält. Wenn wir die beiden aus dem Fenster werfen, stürzen sie dreihundert Meter in die Tiefe und werden zu Brei; es würde mich wundern, wenn die hiesige Polizei dann noch eine Autopsie vornimmt.«
»Das könnte klappen …«, sagte Flic nach kurzem Überlegen, »ich kenne den Chef der hiesigen Polizei ziemlich gut. Ich brauche ihm nur zu erzählen, daß ich die beiden schon vor ein paar Tagen bei dem Versuch überrascht habe, die Felswand hinaufzuklettern, sie vor der Gefahr gewarnt habe und sie mir ins Gesicht gelacht haben … Im übrigen ist die Sache durchaus plausibel, der Kerl hatte eine Vorliebe für Extremsport, ich glaube, daß er am Wochenende in den Dolomiten Freeclimbing machte.«
»Gut…«, sagte der Professor nur. Er gab Flic ein kleines Zeichen mit dem Kopf; die beiden Männer hoben die Leiche des Italieners hoch, der eine an den Füßen, der andere an den Schultern, dann machten sie ein paar Schritte und stürzten sie in die Leere; sie waren dabei so schnell vorgegangen, daß weder ich noch Vincent Zeit gehabt hatten zu reagieren. Mit überwältigender Energie ging der Professor nun auf Francesca zu, hob sie an den Schultern hoch und schleifte sie über den Teppichboden; sie war wieder völlig apathisch geworden und reagierte nicht stärker als ein Sack Kartoffeln. In dem Augenblick, als Flic sie an den Füßen packte, brüllte Vincent: »Heee!« Der Professor legte die Italienerin wieder auf den Boden und drehte sich verärgert um.
»Was ist denn nun schon wieder?«
»Das kannst du doch nicht machen!«
»Und warum nicht?«
»Das ist Mord…«
Der Professor erwiderte nichts, verschränkte ruhig die Arme und musterte Vincent. »Das ist natürlich bedauerlich …«, sagte er schließlich. »Aber ich glaube, es ist unerläßlich«, fügte er ein paar Sekunden später hinzu. Das lange schwarze Haar der Italienerin rahmte ihr blasses Gesicht ein; sie blickte uns mit ihren braunen Augen einen nach dem anderen an, ich hatte den Eindruck, daß sie nicht mehr imstande war, die Situation zu begreifen.
»Sie ist noch so jung und so hübsch …«, flüsterte Vincent in bettelndem Ton.
»Dann darf ich wohl daraus schließen, daß du gegen die Beseitigung einer häßlichen alten Frau weniger einzuwenden hättest…«
»Nein … nein«, protestierte Vincent betreten, »das wollte ich damit nicht sagen.«
»Doch«, erwiderte der Professor unerbittlich, »genau das wolltest du damit sagen, aber lassen wir das. Mach dir klar, daß sie nur eine Sterbliche ist, eine Sterbliche wie wir alle bisher; eine vorübergehende Anordnung von Molekülen. Sagen wir, daß es sich bei ihr um eine besonders hübsche Anordnung handelt; aber sie hat keine größere Konsistenz als eine Eisblume, die vom ersten Wärmeeinbruch zerstört wird; und zu ihrem Leidwesen ist ihr Tod notwendig geworden, damit die Menschheit ihren Weg fortsetzen kann. Ich verspreche dir jedoch, daß sie nicht zu leiden braucht.« Er zog ein Funkgerät aus der Tasche und sagte halblaut ein paar Worte. Eine Minute später tauchten zwei Wächter auf und brachten ihm eine Tasche aus weichem Leder; er öffnete sie, entnahm ihr ein Glasfläschchen und eine Injektionsspritze. Auf ein Zeichen von Flic zogen sich die beiden Wächter zurück.
»Aber nun mal langsam, langsam …«, mischte ich mich ein. »auch ich habe nicht die Absicht, zum Mitwisser an einem Mord zu werden. Außerdem habe ich nicht den geringsten Grund, es zutun.«
»Doch«, erwiderte der Professor schroff, »du hast einen sehr guten Grund: Ich kann die Wächter zurückrufen.
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