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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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wirklich davon zu überzeugen, etwas mehr Substanz; ich glaube, daß vor allem das Verschwinden seiner erdrückenden männlichen Präsenz die Anhänger befreit und in ihnen die Lust erweckt hatte, beschwingtere und spielerischere Momente zu verleben.
    Was mich in meinem eigenen Leben erwartete, hatte wenig Chancen, ebenso fröhlich zu sein, wie ich immer deutlicher ahnte. Erst am Tag vor meiner Abreise gelang es mir endlich, Esther zu erreichen: Sie erklärte mir, daß sie sehr beschäftigt gewesen sei, da sie die Hauptrolle in einem Kurzfilm bekommen habe, ein Glücksfall, man habe sie im letzten Augenblick genommen, und die Dreharbeiten hätten direkt nach ihren Prüfungen begonnen — die sie im übrigen glänzend bestanden hatte; mit einem Wort, sie sprach nur über sich selbst. Dabei war sie über die Ereignisse auf Lanzarote informiert und wußte, daß ich das Ganze persönlich miterlebt hatte. »Que fuerte!« rief sie, was ich als Kommentar etwas dürftig fand; in diesem Augenblick wurde mir klar, daß ich auch ihr gegenüber schweigen und mich an die geläufige Version einer vermutlichen Täuschung halten würde, ohne ihr zu sagen, wie eng ich in die Sache verwickelt war, und daß Vincent wohl der einzige Mensch auf der Welt war, mit dem ich vielleicht eines Tages darüber sprechen konnte. Ich begriff außerdem, warum die grauen Eminenzen und sogar die einfachen Zeitzeugen eines historischen Ereignisses, deren Hintergründe der Öffentlichkeit unbekannt geblieben sind, zu irgendeinem Zeitpunkt das Bedürfnis haben, ihr Gewissen zu entlasten und das, was sie darüber wissen, zu Papier zu bringen.
    Vincent begleitete mich am folgenden Tag zum Flughafen von Arrecife, er fuhr selbst den Geländewagen. In dem Augenblick, als wir erneut an dem seltsamen Strand mit schwarzem Sand, der von kleinen weißen Steinen übersät war, vorbeifuhren, versuchte ich ihm mein Bedürfnis zu erklären, ein schriftliches Bekenntnis abzulegen. Er hörte mir aufmerksam zu, und nachdem er den Wagen auf dem Parkplatz direkt vor der Abflughalle abgestellt hatte, sagte er zu mir, daß er Verständnis dafür habe, und gab mir die Erlaubnis, das Erlebte aufzuschreiben. Allerdings dürfe der Bericht erst nach meinem Tod veröffentlicht werden, oder zumindest müsse ich eine förmliche Genehmigung vom Leitungsgremium der Kirche — also von dem Triumvirat, das sich aus ihm selbst, dem Professor und Flic zusammensetzte — abwarten, ehe ich ihn veröffentlichen oder auch nur irgend jemandem zu lesen geben dürfe. Unabhängig von diesen Auflagen, die ich ohne Schwierigkeiten akzeptierte — und ich wußte, daß er mir vertraute —, spürte ich, wie er nachdenklich wurde, als habe ihn meine Bitte auf Gedanken gebracht, die er noch nicht klar formulieren konnte.
    Wir verbrachten die Zeit bis zu meinem Abflug in einem Raum mit großen Fenstern, aus denen man eine gute Aussicht auf die Rollbahn hatte. In der Ferne zeichneten sich die Vulkane in einer vertrauten, fast beruhigenden Präsenz vor dem dunkelblauen Himmel ab. Ich spürte, daß Vincent diesem Abschied gern eine etwas warmherzigere Wendung gegeben hätte, ab und zu drückte er mein Handgelenk oder legte mir den Arm um die Schultern; aber er fand weder die passenden Worte, noch verstand er es, die richtigen Gesten zu machen. Am selben Morgen hatte man bei mir eine DNA-Entnahme gemacht, und ich gehörte somit offiziell der Kirche an. In dem Augenblick, als eine Stewardeß den ersten Aufruf für den Flug nach Madrid machte, sagte ich mir, daß diese Insel mit ihrem gemäßigten, gleichbleibenden Klima mit nur ganz geringen Schwankungen, was Sonneneinstrahlung und Temperatur anging, der ideale Ort war, um das ewige Leben zu erlangen.
     
     

Daniel25,7
    Tatsächlich verrät uns Vincent1, daß er im Anschluß an diese Unterhaltung mit Daniel1 auf dem Parkplatz des Flughafens von Arrecife zum ersten Mal auf den Gedanken der Lebensberichte gekommen ist, die zunächst nur als Anhang, als vorübergehende Maßnahme eingeführt wurden, bis die Arbeiten von Slotan1 über die Vernetzung der Gedächtnisprozesse weiter voranschritten, im Anschluß an die logischen Konzeptualisierungen von Pierce jedoch eine große Bedeutung erhalten sollten.
     
     

Daniel1,19
    Ich hatte zwei Stunden Aufenthalt auf dem Flughafen von Madrid, ehe ich nach Almeria weiterflog; diese beiden Stunden genügten, um den seltsam abstrakten Zustand hinwegzufegen, in den mich der Aufenthalt bei den Elohimiten versetzt hatte, und

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