Die Mglichkeit einer Insel
wartete brav darauf, daß wir das Gespräch beendeten. Der Regisseur warf ihr ab und zu anerkennende Blicke zu — sie hatte die Füße auf den Stuhl ihr gegenüber gestellt und die Beine gespreizt, sie trug keinen Slip, und all das schien ganz normal und logisch zu sein, eine simple Konsequenz der herrschenden Temperatur, ich machte mich daraufgefaßt, daß sie sich bald die Muschi mit einer Papierserviette abtrocknen würde. Endlich verabschiedete er sich, und wir versprachen, in Kontakt zu bleiben. Zehn Minuten später war ich in ihr und fühlte mich total wohl. Das Wunder ereignete sich schon wieder, ebenso stark wie am ersten Tag, und ich glaubte noch einmal — zum letzten Mal — daran, daß es ewig währen würde.
Nicht erwiderte Liebe ist eine wahre Qual. In den folgenden Monaten, während der Sommer von Spanien Besitz ergriff, hätte ich mir noch einreden können, daß alles in Ordnung und unsere Liebe auf beiden Seiten gleich stark war; aber ich habe leider nie eine große Begabung dafür gehabt, mich selbst zu belügen. Zwei Wochen später besuchte sie mich in San Jose, und auch wenn sie sich mir noch immer mit der gleichen Leidenschaft und ohne die geringste Hemmung hingab, stellte ich doch fest, daß sie immer öfter ein paar Schritte abseits ging, das Handy in der Hand, um zu telefonieren. Sie lachte oft bei diesen Gesprächen, öfter als mit mir, versprach, daß sie bald zurückkommen werde, und der Vorschlag, den ich ihr machen wollte, den Sommer mit mir zu verbringen, kam mir immer sinnloser vor; als ich sie schließlich zum Flughafen zurückfuhr, war ich fast erleichtert. Ich hatte den Bruch vermieden, war noch mit ihr zusammen, wie man so schön sagt, und in der folgenden Woche fuhr ich nach Madrid.
Sie ging oft in Diskotheken, das wußte ich, und tanzte manchmal dort die ganze Nacht, aber sie schlug mir nie vor, sie zu begleiten. Ich stellte mir vor, wie sie zu ihren Freunden, die mit ihr ausgehen wollten, sagte: »Nein, heute abend treffe ich mich mit Daniel…« Inzwischen kannte ich die meisten von ihnen, viele waren Studenten oder Schauspieler; häufig Typen im groove-Stil mit halblangem Haar und bequemer Kleidung; andere dagegen machten sich einen Spaß daraus, sich wie ein Macho oder ein Latin lover zu kleiden. Aber alle waren natürlich jung, wie hätte es auch anders sein sollen? Wie viele unter ihnen, fragte ich mich manchmal, waren wohl ihre Liebhaber? Sie tat nie etwas, was in mir den Eindruck erweckt hätte, daß ich fehl am Platz war, aber andererseits hatte ich auch nie das Gefühl, ihrem Freundeskreis anzugehören. Ich erinnere mich noch an einen Abend, als wir etwa zu zehnt in einer Bar saßen, es mochte gegen zweiundzwanzig Uhr gewesen sein, und alle angeregt die Vorteile verschiedener Diskotheken priesen, einige davon, die eher in Richtung House Music gingen, andere, in denen Trance gespielt wurde. Seit zehn Minuten hatte ich eine irrsinnige Lust, ihnen zu sagen, daß auch ich diese Welt gern kennenlernen, mich mit ihnen amüsieren und die Nacht durchmachen wollte; ich war bereit, sie anzuflehen, mich mitzunehmen. Doch dann sah ich zufällig mein Gesicht in einem Spiegel und kapierte: Ich war hoch in den Vierzigern, mein Gesicht war sorgenvoll, starr, von Lebenserfahrung, Verantwortung und Kummer gezeichnet; ich sah wirklich nicht wie jemand aus, mit dem man Lust haben könnte, sich zu amüsieren. Ich hatte keine Chance.
Im Verlauf der Nacht, nachdem ich mit Esther geschlafen hatte (das war das einzige, das immer noch gut klappte, vermutlich war es die einzige jugendliche, unverbrauchte Seite meiner selbst) und ihren weißen, glatten Körper betrachtete, der im Mondlicht ruhte, dachte ich mit schmerzlichem Gefühl an Bratarsch zurück. Wenn ich den Worten des Evangeliums entsprechend an dem Maß gemessen würde, das ich selbst angewandt hatte, dann stand es schlecht um mich, denn es ließ sich nicht leugnen, daß ich mich Bratarsch gegenüber mitleidlos verhalten hatte — was nicht heißen soll, daß Mitleid etwas geändert hätte: Es gibt viele Dinge, die man aus Mitgefühl tun kann, aber nicht einen hochkriegen, nein, das war nicht möglich.
Als ich Bratarsch kennenlernte, war ich etwa dreißig und begann einen gewissen Erfolg zu haben — noch nicht beim breiten Publikum, aber immerhin einen Achtungserfolg. Ich bemerkte ziemlich bald diese bleiche dicke Frau, die alle meine Veranstaltungen besuchte, sich in die erste Reihe setzte und mir jedesmal ihr Autogrammheft
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