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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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mich allmählich wieder den Schmerz spüren zu lassen, wie wenn man Schritt für Schritt in eiskaltes Wasser geht; als ich wieder ins Flugzeug stieg, zitterte ich trotz der Hitze buchstäblich vor Angst. Esther wußte, daß ich am selben Tag weiterfliegen würde, und es hatte mich ungeheure Anstrengung gekostet, ihr nicht zu gestehen, daß ich zwei Stunden Aufenthalt auf dem Flughafen von Madrid hatte, die Aussicht, mir anhören zu müssen, daß zwei Stunden zu kurz seien, die Taxifahrt usw., war mir ziemlich unerträglich. Dennoch hatte ich während dieser zwei Stunden, in denen ich zwischen den Plattenläden, die eine schamlose Werbekampagne für die letzte CD von David Bisbai betrieben (Esther hatte ziemlich leicht bekleidet bei einem der letzten Clips des Sängers eine Statistenrolle gehabt), den Punta de Fumadores und den Jennyfer-Modeboutiquen hin und her irrte, den immer unerträglicher werdenden Eindruck, ihren jungen Körper in einem erotischen Sommerkleid ein paar Kilometer von hier entfernt unter den bewundernden Blicken der Männer durch die Straßen der Stadt gehen zu sehen. Ich setzte mich in einen »Tip Tap Tapas« und bestellte widerliche Würstchen, die in einer sehr fetten Soße schwammen, und trank dazu mehrere Gläser Bier; ich spürte, wie sich mein Magen aufblähte, sich mit Scheißfraß füllte, und da ging mir der Gedanke durch den Kopf, den Zerstörungsprozeß bewußt zu beschleunigen, vorzeitig zu altern, abstoßend und fett zu werden, um mich Esthers Körper endgültig unwürdig zu fühlen. In dem Augenblick, als ich mein viertes Glas Mahou an die Lippen setzte, ertönte im Radio der Bar ein Lied, dessen Interpreten ich nicht kannte, auf jeden Fall war es nicht David Bisbai, sondern eher ein herkömmlicher Latino, der in einer Stimmlage sang, die die jungen Spanier jetzt lächerlich fanden, kurz gesagt, eher ein Sänger für Hausfrauen als für kleine Miezen. Aber wie dem auch sei, der Refrain lautete: »Mujer es fatal«, und dabei wurde mir klar, daß ich eine so einfache, so kindische Feststellung noch nie in so zutreffender Formulierung gehört hatte und daß Lyrik, wenn sie einen einfachen Ausdruck fand, wirklich etwas Großartiges war, wirklich the big thing, denn das spanische Wort fatal traf den Nagel auf den Kopf; ich wüßte kein anderes Wort, das meiner Situation besser entspräche, es war die Hölle, eine richtige Hölle, ich war selbst in die Falle gegangen, hatte selbst den Wunsch gehabt hineinzutappen, wußte aber nicht, wie ich wieder hinauskommen konnte, und war mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich hinauswollte, die Sache wurde in meinem Geist — wenn ich überhaupt noch einen besaß — immer verworrener, auf jeden Fall hatte ich einen Körper, einen leidenden Körper, der vom Begehren zugrunde gerichtet wurde.
    Als ich in San Jose ankam, legte ich mich sofort ins Bett, nachdem ich eine starke Dosis Schlaftabletten eingenommen hatte. An den folgenden Tagen irrte ich nur von Zimmer zu Zimmer in meiner Villa; ich war zwar unsterblich, aber im Augenblick änderte das nicht viel, Esther rief immer noch nicht an, und das war das einzige, was mir wichtig erschien. Als ich mir zufällig eine Kultursendung im spanischen Fernsehen ansah (es war übrigens mehr als Zufall, eher ein Wunder, denn Kultursendungen sind im spanischen Fernsehen sehr selten, die Spanier haben nichts für Kultursendungen und Kultur im allgemeinen übrig, das ist ein Bereich, dem sie äußerst feindlich gegenüberstehen, wenn man über Kultur spricht, hat man manchmal den Eindruck, daß man sie gleichsam persönlich beleidigt), erfuhr ich, daß Immanuel Kants letzte Worte auf seinem Totenbett »Es ist gut« gewesen waren. Ich wurde augenblicklich von einem schmerzhaften Lachkrampf erfaßt, der von Bauchschmerzen begleitet wurde, die drei Tage dauerten und damit endeten, daß ich Galle spuckte. Ich rief einen Arzt, der eine Lebensmittelvergiftung diagnostizierte, mich fragte, was ich in den letzten Tagen gegessen hatte, und mir empfahl, Milchprodukte zu kaufen. Ich kaufte also Milchprodukte und ging am selben Abend wieder ins »Diamond Nights«, das mir den Eindruck eines redlichen Lokals gemacht hatte, in dem man nicht übermäßig zum Verzehr gezwungen wurde. Es saßen gut dreißig Mädels an der Bar, aber nur zwei Kunden. Ich entschied mich für eine Marokkanerin, die wohl kaum älter als siebzehn war; ihr Dekollete brachte ihre großen Brüste gut zur Geltung, und ich glaubte wirklich, es würde

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