Die Mglichkeit einer Insel
wirtschaftliche Gleichgewicht des Landes negativ auswirkende, statistisch gesehen überproportional hohe Anzahl von Menschen im Greisenalter zu regulieren. Isabelle war da anders, und in den Tagen, die ich bei ihr verbrachte, wurde mir wieder bewußt, daß sie moralisch gesehen den Männern und Frauen ihrer Generation überlegen war: sie war großzügiger, aufmerksamer, liebevoller. Auf sexueller Ebene spielte sich zwischen uns jedoch nichts ab; wir schliefen im selben Bett, und das störte uns nicht einmal, führte aber auch nicht dazu, daß wir resigniert aufgegeben hätten. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich erschöpft, die Hitze machte auch mir schwer zu schaffen, ich hatte den Eindruck, etwa soviel Energie zu besitzen wie eine tote Auster, und diese Benommenheit wirkte sich auf alles aus. Tagsüber setzte ich mich an einen kleinen Tisch mit Blick auf den Park, um zu schreiben, doch es kam nichts, nichts erschien mir wichtig oder bedeutsam, ich hatte mein Leben hinter mir, und jetzt war es kurz davor, zu Ende zu gehen, das war alles, es erging mir wie allen anderen, meine Karriere als showman schien mir in weite Ferne gerückt, von alldem würde nicht die geringste Spur übrigbleiben.
Manchmal wurde mir jedoch wieder bewußt, daß meine Erzählung ursprünglich ein anderes Ziel verfolgt hatte; mir war durchaus klar, daß ich in Lanzarote eine der wichtigsten, vielleicht sogar die entscheidende Etappe innerhalb der Evolution des Menschengeschlechts miterlebt hatte. Eines Morgens, als ich etwas mehr Energie hatte, rief ich Vincent an: Sie seien mitten im Umzug, sagte er mir, sie hätten beschlossen, die Villa des Propheten in Santa Monica zu verkaufen und den offiziellen Sitz der Kirche nach Chevilly-Larue zu verlegen. Der Professor sei in Lanzarote in seinem Labor geblieben, aber Flic sei mit seiner Frau da, sie hätten ein Einfamilienhaus in der Nähe gekauft, und sie seien dabei, neue Büros zu bauen, stellten mehrere Leute ein und dächten daran, Geschäftsanteile eines Fernsehsenders zu kaufen, der sich den neuen Kulten widmete. Ganz offensichtlich unternahm er Dinge, die zumindest in seinen Augen wichtig und bedeutsam waren. Dennoch beneidete ich ihn nicht: Mein ganzes Leben lang hatte ich mich nur für meinen Pimmel oder für gar nichts interessiert, und jetzt war mein Pimmel abgestorben, und ich folgte seinem verhängnisvollen Niedergang, etwas Besseres hatte ich nicht verdient, sagte ich mir und versuchte bei diesem Gedanken ein genußvolles Selbstmitleid zu empfinden. Dabei breitete sich in meinem Geist ein immer stärkeres Entsetzen aus, ein Entsetzen, das noch durch die unbewegliche brütende Hitze und das unvermindert strahlende Blau des Himmels verstärkt wurde.
Isabelle spürte das wohl alles und blickte mich seufzend an, und nach Ablauf von zwei Wochen wurde es allmählich klar, daß die Sache ein schlimmes Ende nehmen würde, daher war es besser, wenn ich noch einmal und, genauer gesagt, zum letzten Mal wieder abreiste, denn wir waren wirklich zu alt, zu verbraucht, zu verbittert, konnten uns nur noch wehtun und uns gegenseitig die Schuld für das allgemeine Versagen in die Schuhe schieben. Bei unserer letzten Mahlzeit (der Abend brachte etwas Kühle mit sich, wir hatten den Tisch in den Garten gestellt, und Isabelle hatte etwas besonders Leckeres gekocht) erzählte ich ihr von der elohimitischen Kirche und dem auf Lanzarote gegebenen Versprechen der Unsterblichkeit. Sie hatte natürlich die Nachrichten gehört, glaubte aber wie die meisten Leute, daß es sich dabei um völligen Schwindel handelte, und wußte nicht, daß ich dabei gewesen war. Mir wurde auf einmal klar, daß sie Patrick nie kennengelernt hatte, auch wenn sie sich an Robert den Belgier erinnerte, und daß im Grunde viel in meinem Leben geschehen war, seit wir uns getrennt hatten, es war eigentlich erstaunlich, daß ich ihr nicht früher davon erzählt hatte. Vermutlich war die Vorstellung noch zu neu, ehrlich gesagt, vergaß ich selbst die meiste Zeit, daß ich unsterblich geworden war, ich mußte mich direkt anstrengen, um mich daran zu erinnern. Ich erklärte ihr dennoch die ganze Angelegenheit von Anfang an, mit allen erforderlichen Einzelheiten, schilderte ihr vor allem die Persönlichkeit des Professors und welch kompetenten Eindruck er auf mich gemacht hatte. Auch ihre Intelligenz war noch sehr rege, ich glaube, sie verstand zwar nichts von Genetik, hatte sich nie die Zeit genommen, sich dafür zu interessieren, konnte aber
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