Die Mglichkeit einer Insel
Körper der Mädchen ausgesetzt waren, immer mehr zu, und die Ausbreitung des Islam wurde nur durch eine Reihe von Arrangements ermöglicht, die unter dem Einfluß einer neuen Generation von Imams vollzogen wurden. Sie ließen sich zugleich von der katholischen Tradition, Reality-TV und dem Gespür fürs Theatralische der amerikanischen Fernseh-Evangelisten anregen und entwickelten für das muslimische Publikum Drehbücher mit erbaulichen Lebensabläufen, die auf Bekehrung und Vergebung der Sünden gründeten, obwohl diese beiden Begriffe der islamischen Tradition eigentlich relativ fremd waren. Bei dem Standardschema, das in identischer Form in Dutzenden von telenovelas reproduziert wurde, die zumeist in der Türkei oder in Nordafrika gedreht wurden, führt ein Mädchen zum Entsetzen seiner Eltern zunächst ein ausschweifendes Leben, geprägt von Alkohol, Drogen und hemmungsloser sexueller Freiheit. Und dann, aufgrund eines Ereignisses, das ihm einen heilsamen Schock versetzt (eine schmerzhafte Abtreibung; die Begegnung mit einem jungen frommen rechtschaffenen Muslim, der ein Ingenieurstudium absolviert), läßt es die Versuchungen der Welt weit hinter sich und wird eine fügsame, keusche, Schleier tragende Ehefrau. Das gleiche Schema gab es auch in einer männlichen Version, bei der in der Regel Rapper in Szene gesetzt waren und Kriminalität und Konsum harter Drogen im Vordergrund standen. Diese scheinheiligen Filme hatten vor allem deshalb so großen Erfolg, weil das Alter, das für die Bekehrung gewählt wurde (zwischen zweiundzwanzig und fünfundzwanzig Jahren) in etwa dem Alter entsprach, in dem die maghrebinischen Frauen, die in ihrer Jugend unglaublich schön gewesen waren, allmählich dicker wurden und das Bedürfnis hatten, Kleider zu tragen, die ihren Körper stärker verhüllten. Im Verlauf von ein oder zwei Jahrzehnten gelang es dem Islam, in Europa die Rolle zu übernehmen, die der Katholizismus in seinen Glanzzeiten gespielt hatte: Der Islam wurde zu einer »offiziellen« Religion, die Einfluß auf den Kalender nahm und kleine Zeremonien organisierte, die dem Zeitablauf einen gewissen Rhythmus verliehen, einer Religion mit Dogmen, die primitiv genug waren, um einer möglichst großen Anzahl von Menschen den Zugang zu erlauben, und die zugleich eine gewisse Mehrdeutigkeit bewahrten, um auch die hellsten Kopfe zu betören, wobei theoretisch von den Leuten eine unangreifbare moralische Strenge gefordert wurde; doch in der Praxis gab es Zwischenlösungen, die es erlaubten, jeden x-beliebigen Sünder aufzunehmen. Das gleiche Phänomen vollzog sich auch in den USA, und zwar vor allem innerhalb der schwarzen Bevölkerung — allerdings mit dem Unterschied, daß der Katholizismus, der von den lateinamerikanischen Einwanderern getragen wurde, dort lange eine wichtigere Stellung einnahm.
All das konnte natürlich nur eine gewisse Zeit dauern, und die Weigerung zu altern, ein solides Leben zu führen und sich in eine gute dicke Hausfrau und Mutter zu verwandeln, sollte ein paar Jahre später auch die Bevölkerung anstecken, die von Einwanderern abstammte. Ist ein Gesellschaftssystem erst einmal zerstört, ist diese Zerstörung endgültig, dann besteht keine Möglichkeit des Zurück mehr. Die Gesetze der gesellschaftlichen Entropie, die im Prinzip für alle menschlichen Bezienungssvsteme gelten, wurden erst zweihundert Jahre später von Hewlett und Dude völlig stringent nachgewiesen; aber sie waren schon seit langem intuitiv bekannt. Das Ende des Islam in der westlichen Welt erinnert auf seltsame Weise an den Niedergang des Kommunismus ein paar Jahrzehnte zuvor: Im einen wie im anderen Fall ging der Gegenschlag von den Ursprungsländern aus und fegte in wenigen Jahren die in den Gastländern aufgebauten Organisationen hinweg, obwohl sie mächtig und steinreich waren. Als die arabischen Länder nach jahrelanger Unterminierungsarbeit, die vor allem über geheime Internetverbindungen und das Herunterladen dekadenter Kulturprodukte erreicht wurde, endlich Zugang zu einer Lebensweise bekamen, die auf Massenkonsum, sexueller Freiheit und Freizeitgestaltung basierte, war die Begeisterung der Bevölkerung ebenso lebhaft und groß wie zirka fünfzig Jahre zuvor in den kommunistischen Ländern. Die Bewegung entstand, wie so oft in der Geschichte der Menschheit, in Palästina, genauer gesagt, sie ging auf die plötzliche Weigerung der jungen Palästinenserinnen zurück, ihr Dasein darauf zu beschränken, ununterbrochen
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