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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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neue Gesellschaften hervorbrachten, deren Grundlagen zu den von den Gründern seinerzeit gelegten in Gegensatz standen.
    Das Thema der Gesellschaften von Wilden läßt Marie23 dennoch nicht los, denn sie kommt im Verlauf unseres Austauschs, der immer reger wird, immer öfter darauf zurück. Ich spüre, daß sie von einer gewissen Aufruhrstimmung, von Ungeduld erfaßt wird, die allmählich auf mich abfärbt, obwohl die äußeren Umstände es in keiner Weise rechtfertigen, daß wir unseren Zustand der Stase verlassen, und ich bin nach diesen Sequenzen der Intermediation häufig erschüttert und geradezu geschwächt. Zum Glück besänftigt mich die Anwesenheit von Fox bald wieder, und dann lasse ich mich in meinem Lieblingssessel im nördlichsten Winkel des großen Zimmers nieder und warte mit geschlossenen Augen ruhig im Licht sitzend auf unseren nächsten Kontakt.
     
     

Daniel1,21
    Ich fuhr noch am selben Tag mit dem Zug nach Biarritz; in Handaye mußte ich umsteigen, Mädchen in kurzen Röcken und allgemeine Ferienstimmung, die mich natürlich kaum betraf, aber ich war noch imstande, die Sache wahrzunehmen, hatte noch menschliche Regungen, da brauchte ich mir keine Illusionen zu machen, ich war noch nicht völlig immun, die Erlösung stand noch nicht auf der Tagesordnung, nicht vor meinem tatsächlichen Tod. Ich nahm ein Zimmer in der Villa Eugenie, einem ehemaligen Sommerwohnsitz, den Napoleon III. der Kaiserin geschenkt hatte und der im 20. Jahrhundert in ein Luxushotel umgewandelt worden war. Auch das Restaurant hieß Villa Eugenie und hatte einen Stern im Guide Michelin. Ich bestellte chipirones und eine Art Risotto mit Tintenfischsoße; es schmeckte gut. Ich hatte den Eindruck, ich könnte jeden Tag das gleiche essen und, allgemeiner gesagt, ich könnte lange hier bleiben, ein paar Monate, vielleicht das ganze Leben. Am nächsten Morgen kaufte ich mir ein Notebook, den Samsung X10, und einen Drucker, den Canon i8o. Ich hatte mehr oder weniger die Absicht, mit dem Vorhaben zu beginnen, von dem ich Vincent erzählt hatte: einer noch nicht näher bestimmten Leserschaft die Ereignisse zu schildern, die ich auf Lanzarote erlebt hatte. Erst viel später, nachdem ich mehrere Gespräche mit ihm geführt und ihm ausführlich auseinandergesetzt hatte, daß das Schreiben dieses Berichts mich ein wenig besänftigt und mir das Gefühl vermittelt hatte, wenigstens halbwegs klar zu sehen, kam er auf den Gedanken, alle Anwärter auf die Unsterblichkeit zu bitten, einen Lebensbericht zu schreiben, und zwar so ausführlich wie möglich; mein eigenes Vorhaben wurde dadurch indirekt geprägt und bekam einen stärker autobiographischen Charakter.
    Als ich nach Biarritz fuhr, hatte ich natürlich die Absicht, Isabelle wiederzusehen, aber sobald ich mich im Hotel häuslich niedergelassen hatte, kam mir die Sache gar nicht mehr so eilig vor, was immerhin ziemlich seltsam war, denn es war mir bereits völlig klar, daß ich nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hatte. Jeden Tag machte ich einen Spaziergang von etwa einer Viertelstunde am Strand entlang und sagte mir, daß ich ihr möglicherweise in Begleitung von Fox begegnen würde; aber das geschah nicht, und so entschloß ich mich nach Ablauf von zwei Wochen, sie anzurufen. Vielleicht hatte sie ja die Stadt verlassen, immerhin standen wir seit über einem Jahr nicht mehr in Kontakt.
    Sie hatte die Stadt nicht verlassen, teilte mir aber mit, daß sie es tun würde, sobald ihre Mutter gestorben sei — was in ein bis zwei Wochen oder spätestens in einem Monat der Fall sein würde. Sie schien sich nicht sonderlich darüber zu freuen, von mir zu hören, und so mußte ich ihr schließlich vorschlagen, uns zu treffen. Ich lud sie zum Essen in das Hotel-Restaurant ein; das sei nicht möglich, sagte sie zu mir, Hunde hätten dort keinen Zutritt. Wir einigten uns schließlich darauf, uns wie gewohnt im Surfeur d'Argent zu treffen, aber ich spürte sofort, daß sich irgend etwas geändert hatte. Es war merkwürdig, kaum zu erklären, aber zum erstenmal hatte ich den Eindruck, als sei sie sauer auf mich. Mir wurde auch klar, daß ich ihr nie etwas von Esther erzählt hatte, nicht ein einziges Wort, und das verstand ich nicht recht, denn wir waren, wie ich wiederholen möchte, zivilisierte, moderne Menschen; bei unserer Trennung hatte es keinerlei Streitigkeiten, nicht einmal finanzieller Art gegeben, man kann sagen, daß wir als gute Freunde auseinandergegangen waren.
    Fox war etwas gealtert

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