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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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und hatte zugenommen, aber er war noch genauso verschmust und munter wie früher, ich mußte ihm nur ein bißchen dabei helfen, mir auf den Schoß zu klettern, das war alles. Wir sprachen etwa zehn Minuten über ihn: Er versetzte die Schickimicki-Schnepfen aus Biarritz in Entzücken, vermutlich weil die englische Königin den gleichen Hund hatte — und Mick Jagger, seit er in den Adelsstand erhoben worden war, ebenfalls. Er sei absolut keine Promenadenmischung, klärte Isabelle mich auf, sondern ein Welsh Corgi Pembroke, ein Hund, wie er seit jeher von der königlichen Familie gehalten wurde; die Gründe, weshalb sich dieses kleine Wesen adliger Herkunft im Alter von drei Monaten inmitten einer Meute streunender Hunde am Rand einer spanischen Autobahn befunden hatte, würden für immer ein Rätsel bleiben.
    Dieses Thema beschäftigte uns etwa eine Viertelstunde, und dann kamen wir unvermeidlich, wie infolge eines Naturgesetzes, zum Kern des Problems, und ich erzählte Isabelle meine Geschichte mit Esther. Ich erzählte ihr alles, von Anfang an, redete über zwei Stunden und schloß mit dem Bericht über die Geburtstagsparty in Madrid. Sie hörte mir aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen und ohne wirklich Erstaunen zu äußern. »Ja, du bist immer scharf auf Sex gewesen…«, sagte sie nur kurz halblaut, als ich begann, ein paar erotische Betrachtungen anzustellen. Sie habe schon lange etwas geahnt, sagte sie mir, als ich mit meinem Bericht fertig war, sie freue sich darüber, daß ich mich entschlossen hätte, ihr davon zu erzählen.
    »Im Grunde gibt es zwei Frauen, die in meinem Leben wichtig waren«, sagte ich zusammenfassend. »Die erste bist du — und du hattest nicht genug für Sex übrig; und die zweite ist Esther — und sie hatte nicht genug für die Liebe übrig.« Diesmal lächelte sie ganz offen. »Das stimmt…«, erwiderte sie mit veränderter Stimme, die plötzlich erstaunlich spöttisch und jugendlich war, »du hast wirklich Pech gehabt…«
    Sie dachte nach und fügte dann hinzu: »Letztlich sind die Männer nie mit ihren Frauen zufrieden…«
    »Ja, selten.«
    »Sie wollen vermutlich widersprüchliche Dinge. Na ja, die Frauen wohl jetzt auch, aber das ist noch nicht lange her. Im Grunde war die Polygamie vielleicht gar nicht so schlecht…«
    Das Scheitern einer Zivilisation ist eine traurige Angelegenheit, es ist traurig, mit ansehen zu müssen, wie sich ihre klügsten Köpfe verrennen — zunächst fühlt man sich leicht unwohl in der eigenen Haut, und schließlich sehnt man sich nach einer islamischen Republik. Na ja, sagen wir, es ist ein bißchen traurig; es gibt selbstverständlich traurigere Dinge. Isabelle hatte theoretische Diskussionen immer schon gemocht, das hatte mich unter anderem an ihr so gereizt; es kann ziemlich unfruchtbar und sogar verhängnisvoll sein, vor allem, wenn es sich um eine Diskussion um der bloßen Diskussion willen handelt, doch es gibt auch tiefsinnige, kreative und zärtliche Diskussionen, und zwar direkt nach dem Liebesakt — unmittelbar nach dem wahren Leben. Wir blickten uns fest in die Augen, und ich wußte, ich spürte, daß sich etwas ereignen würde, die Geräusche in dem Restaurant schienen verstummt zu sein, es war, als wären wir in eine Zone der Stille geraten, ob vorläufig oder endgültig, das konnte ich noch nicht entscheiden, und schließlich sagte sie, ohne den Blick abzuwenden, mit klarer, bestimmter Stimme: »Ich liebe dich noch immer.«
    Ich schlief in jener Nacht und auch in den folgenden bei ihr, ohne jedoch mein Hotelzimmer aufzugeben. Wie ich mir gedacht hatte, war ihre Wohnung sehr geschmackvoll eingerichtet; sie befand sich in einer kleinen Wohnanlage, die von einem Park umgeben war, etwa hundert Meter vom Ozean entfernt. Mit Vergnügen bereitete ich den Freßnapf für Fox zu und unternahm mit ihm Spaziergänge; er lief jetzt langsamer und interessierte sich weniger für andere Hunde.
    Jeden Morgen fuhr Isabelle mit dem Auto ins Krankenhaus, sie verbrachte dort den größten Teil des Tages bei ihrer Mutter; diese werde gut versorgt, sagte sie mir, was zu einer Ausnahme geworden sei. Wie jedes Jahr war der Sommer in Frankreich außergewöhnlich heiß, und wie jedes Jahr starben die alten Leute aufgrund mangelnder Pflege in den Krankenhäusern und Altenheimen massenweise. Aber schon seit langem empörte man sich nicht mehr darüber, das war inzwischen so üblich geworden, war gleichermaßen ein natürliches Mittel, um die sich auf das

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