Die Mglichkeit einer Insel
affektiven Element
der Religion zuschreibt.«
Auguste Comte: Aufruf an die Konservativen
Ich selbst hatte so wenig Veranlagung zu einem Gläubigen, daß mir der Glaube der anderen im Grunde ziemlich gleichgültig war; ich teilte Isabelle ohne Bedenken, aber auch ohne der Sache wirklich Bedeutung beizumessen, die Adresse der elohimitischen Kirche mit. Ich versuchte in dieser letzten Nacht mit ihr zu schlafen, doch es klappte nicht. Ein paar Minuten lang bemühte sie sich, meinen Pimmel abzukauen, aber ich spürte genau, daß sie das schon seit Jahren nicht mehr getan hatte, nicht mehr daran glaubte, und um so etwas erfolgreich zu Ende zu führen, muß man schon ein bißchen davon überzeugt sein und ein Mindestmaß an Begeisterung aufbringen, das Fleisch in ihrem Mund blieb schlaff, und meine herabhängenden Eier reagierten nicht mehr auf ihre etwas ungeschickten Liebkosungen. Sie gab es schließlich auf und fragte mich, ob ich eine Schlaftablette haben wolle. Ja, das wollte ich, so etwas sollte man nie ablehnen, finde ich, es ist unnötig, sich zu quälen. Sie war noch immer fähig, als erste aufzustehen und Kaffee zu kochen, das war etwas, was sie noch machen konnte. Es lag ein wenig Tau auf dem Flieder, die Temperatur war gesunken, ich hatte einen Platz im Zug um 8 Uhr 32 reserviert, und der Sommer ging allmählich zu Ende.
Ich nahm mir wie gewöhnlich ein Zimmer im Lutetia, und auch dort ließ ich ohne bestimmten Grund viel Zeit verstreichen, vielleicht ein oder zwei Monate, ehe ich Vincent anrief. Ich tat genau die gleichen Dinge wie vorher, aber ich tat alles viel langsamer, als müßte ich die Handlungen in ihre einzelnen Abläufe zerlegen, damit es mir gelang, sie einigermaßen zufriedenstellend zu vollziehen. Ab und zu setzte ich mich in die Bar und ließ mich ruhig und gelassen vollaufen; nicht selten wurde ich von alten Bekannten erkannt. Ich unternahm nichts, um die Unterhaltung in Gang zu halten, und es war mir nicht einmal peinlich; darin bestand einer der wenigen Vorteile, ein Star zu sein — oder eher, wie in meinem Fall, ein ehemaliger Star: Wenn man jemanden trifft und sich, wie es oft vorkommt, gemeinsam langweilt, ohne daß einer der beiden wirklich dafür verantwortlich ist, also sozusagen in gegenseitigem Einvernehmen, dann fühlt sich immer der andere daran schuldig, daß er es nicht geschafft hat, die Unterhaltung auf genügend hohem Niveau zu halten oder eine warmherzige, knisternde Atmosphäre zu schaffen. Das war eine bequeme, ja entspannende Situation, zumindest wenn einem die Sache scheißegal war. Manchmal, wenn ich mich bei einem Gespräch damit begnügte, den Kopf verständnisvoll hin und her zu wiegen, überließ ich mich ungewollt irgendwelchen Träumereien, die übrigens im allgemeinen eher unangenehm waren: Ich dachte an die Castings, bei denen Esther Männer küssen mußte, an die Sexszenen, in denen sie in verschiedenen Kurzfilmen als Darstellerin mitwirkte; ich erinnerte mich, was ich alles auf mich genommen hatte — völlig nutzlos übrigens, denn selbst wenn ich ihr eine Szene gemacht hätte oder in Schluchzen ausgebrochen wäre, härte das nichts geändert —, und mir wurde klar, daß ich unter diesen Umständen die Sache sowieso nicht lange ertragen hätte, zu alt war und nicht mehr genügend Kraft hatte. Diese Feststellung verringerte im übrigen meinen Kummer keinesfalls, denn an dem Punkt, an dem ich angelangt war, blieb mir keine andere Wahl, als bis zum Schluß zu leiden, nie würde ich ihren Körper, ihre Haut, ihr Gesicht vergessen, und noch nie hatte ich so deutlich gespürt, daß die Beziehungen zwischen Menschen entstehen, sich weiterentwickeln und abbrechen, und zwar auf völlig deterministische Weise, ebenso unabwendbar wie die Bewegungen eines Planetensystems, und die Hoffnung, dessen Bahn auch nur ein ganz klein wenig abzuändern, ist vergeblich und absurd.
Ich hätte auch diesmal ziemlich lange im Lutetia bleiben können, vielleicht nicht so lange wie in Biarritz, denn ich begann trotz allem ein bisschen zuviel zu trinken, die Beklemmung bohrte sich allmählich in meine Organe, und ich verbrachte ganze Nachmittage damit, mir im Bon Marché Pullover anzusehen, es hatte keinen Sinn, so weiterzumachen. An einem Morgen im Oktober, vermutlich an einem Montag, rief ich Vincent an. Als ich sein Haus in Chevilly-Larue betrat, hatte ich sofort das Gefühl, einen Termitenhügel oder einen Bienenkorb vor mir zu haben, irgendeine Organisation jedenfalls, in der
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