Die Mglichkeit einer Insel
verzweifelte Frau
Mit einer Hakennase
Geht im Regenmantel
Über den Petersplatz.
44124, 359, 4211, 4311. Vernunftbegabte kahlköpfige, graugekleidete alte Menschen fahren in einem Abstand von mehreren Metern in Rollstühlen aneinander vorbei. Sie bewegen sich in einem riesigen grauen kahlen Gelände — es gibt keinen Himmel und keinen Horizont, nichts; nur das Grau. Jeder murmelt mit eingezogenem Kopf etwas in sich hinein, ohne die anderen zu bemerken und ohne auch nur auf das Gelände zu achten. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, daß sie sich auf einer Ebene bewegen, die eine leichte Schräge aufweist; kleine Höhenunterschiede bilden ein Netz von Höhenlinien, denen die Rollstühle folgen und die normalerweise jede Möglichkeit einer Begegnung verhindern.
Ich habe den Eindruck, daß Marie22 in diesen Bildern versucht hat, das auszudrücken, was die Angehörigen des ehemaligen Menschengeschlechts empfunden hätten, wenn sie mit der objektiven Realität unseres Lebens konfrontiert worden wären — was auf die Wilden übrigens nicht zutrifft: Auch wenn sie zwischen unseren Anwesen umherlaufen, lernen sie sehr schnell, sich diesen nicht zu nähern, und haben daher nicht die geringste Vorstellung von unseren realen technischen Lebensbedingungen.
Wie ihr Kommentar bezeugt, scheint Marie22 gegen Ende ihres Lebens sogar ein gewisses Mitleid mit den Wilden empfunden zu haben. Darin stand sie in gewisser Weise Paul24 nah, mit dem sie im übrigen einen regen Schriftwechsel unterhalten hat; aber während Paul24 in einem Ton, der an Schopenhauer erinnerte, das Dasein der Wilden, das zu ständigem Schmerz verdammt war, als Absurdität bezeichnete und ihnen die Segnung eines schnellen Todes wünschte, hat Marie22 den Gedanken ausgesprochen, daß ihnen möglicherweise ein anderes Schicksal hätte zuteil werden können und daß sie unter gewissen Umständen ein weniger tragisches Ende hätten finden können. Dabei war es erwiesen, daß der körperliche Schmerz, der das Dasein der Menschen begleitete, untrennbar mit ihrem Dasein verbunden und eine direkte Folge des unvollkommenen Aufbaus ihres Nervensystems war, ebenso wie ihre Unfähigkeit, konfliktfreie Beziehungen untereinander zu schaffen, auf einen relativ schwach entwickelten Gemeinsinn zurückging, der in bezug auf die Komplexität der Gesellschaften, die ihre geistigen Fähigkeiten ihnen zu gründen erlaubten, unzulänglich war — all das wurde bereits auf der Ebene eines Stammes mittlerer Größe deutlich, ganz zu schweigen von den riesigen Zusammenballungen, die mit den ersten Etappen ihres endgültigen Verschwindens verknüpft bleiben sollten.
Die Intelligenz ermöglicht die Beherrschung der Welt; sie konnte nur innerhalb einer gesellschaftlich organisierten Gattung und auf dem Weg über die Sprache entstehen. Diese Gemeinschaftsfähigkeit, die die Entstehung der Intelligenz erlaubt hatte, sollte später die soziale Entwicklung hemmen, und zwar von dem Augenblick an, da die Technik künstlicher Übermittlung zum Einsatz kam. Das Verschwinden des Gesellschaftslebens war der Weg, wie die Höchste Schwester lehrt. Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß das Verschwinden jeglicher Form von Körperkontakt bei den Neo-Menschen manchmal den Charakter einer Askese gehabt haben kann und noch hat; diesen Begriff verwendet im übrigen die Höchste Schwester in ihren Botschaften selbst, zumindest in ihrer intermediären Formulierung. Die Botschaften, die ich selbst an Marie22 gerichtet habe, hatten zum Teil auch einen eher affektiven als kognitiven oder rein informativen Charakter. Auch wenn ich für sie nicht das empfand, was die Menschen mit dem Namen Begehren bezeichnet haben, habe ich mich wohl hin und wieder auf die Ebene des Gefühls ziehen lassen.
Die unbehaarte, empfindliche, schlecht durchblutete Haut der Menschen hatte ein unglaubliches Bedürfnis nach Liebkosungen. Eine bessere Durchblutung der subkutanen Hautschichten und eine leichte Verringerung der Empfindlichkeit der Nervenfasern vom Typ L haben es den Neo-Menschen schon in den ersten Generationen erlaubt, den mit dem Kontaktmangel verbundenen Schmerz zu mildern. Dennoch konnte ich mir nur schwer vorstellen, einen Tag zu verbringen, ohne das Fell von Fox zu streicheln und ohne die Wärme seines liebevollen kleinen Körpers zu spüren. Dieses Bedürfnis hat auch trotz des Schwindens meiner Kräfte nicht nachgelassen, ich habe sogar den Eindruck, daß es immer dringender wird. Fox spürt es, ist
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