Die Mglichkeit einer Insel
verändert wirken und das Weiterleben gerechtfertigt erscheint. Dabei war ich nicht gerade naiv; ich wußte, daß die meisten Menschen auf die Welt kommen, älter werden und sterben, ohne die Liebe kennenzulernen. Kurz nach Ausbruch des sogenannten »Rinderwahnsinns« wurden neue Normen definiert, um die Herkunft des Rindfleischs zurückverfolgen zu können. In den Fleischabteilungen der Supermärkte und in Fast-Food-Restaurants konnte man plötzlich kleine Aufkleber entdecken, auf denen in der Regel etwa folgendes stand: »In Frankreich geboren und aufgewachsen. In Frankreich geschlachtet.« Ein einfaches Leben, fürwahr.
Wenn man nur die äußeren Umstände betrachtet, war der Beginn unserer Beziehung ziemlich banal. Ich war siebenundvierzig, als wir uns kennenlernten, und sie zweiundzwanzig. Ich war reich, sie war schön. Außerdem war sie Schauspielerin, und Filmregisseure schlafen bekanntermaßen ja mit ihren Schauspielerinnen; manche Filme scheinen sogar nur aus diesem Grund gedreht worden zu sein. Aber konnte man mich wirklich als Filmregisseur ansehen? Als Regisseur hatte ich nur Zwei Fliegen später vorzuweisen, und ich hatte gerade mit dem Gedanken gespielt, darauf zu verzichten, Die Swinger der Autobahn zu drehen — in Wirklichkeit hatte ich diesen Entschluß schon auf der Rückreise von Paris gefaßt, denn als das Taxi vor meiner Residenz in San Jose hielt, spürte ich ganz deutlich, daß ich nicht mehr die Kraft dazu hatte und daß ich dieses Projekt wie auch alle anderen fallenlassen würde. Allerdings war die Sache inzwischen schon weitergediehen, und ich fand ein knappes Dutzend Faxe von europäischen Produzenten vor, die etwas mehr darüber erfahren wollten. Mein Expose hatte sich auf einen Satz beschränkt: »Es geht darum, die kommerziellen Vorteile von Pornographie und extremer Gewalt zu verbinden.« Es war kein wirkliches Expose, sondern höchstens ein pitch, aber das sei gut, hatte mir mein Agent gesagt, viele junge Regisseure täten das heute, ich war also ein moderner Filmemacher, ohne es zu wollen. Ich fand auch drei DVDs der größten spanischen Künstleragenturen vor; ich hatte bei ihnen mal angefragt und angegeben, daß der Film »möglicherweise einen sexuellen Inhalt« habe.
So hat also die größte Liebesgeschichte meines Lebens begonnen: auf vorhersehbare, konventionelle und wenn man will sogar vulgäre Weise. Ich schob ein Gericht namens Arroz Tres Delicias in die Mikrowelle und legte eine der drei DVDs in den Player. Noch ehe das Essen heiß war, war mir schon klar, daß die ersten drei Mädchen nicht in Frage kamen. Nach zwei Minuten klingelte es, ich nahm das Schälchen aus dem Gerät und fügte etwas Suzi-Weng-Chilisoße hinzu; gleichzeitig begann auf dem riesigen Bildschirm hinten im Wohnzimmer der Trailer mit Esther.
Ich ging schnell über die ersten beiden Szenen hinweg, die Ausschnitte aus irgendeiner Sitcom und einer vermutlich noch schlechteren Krimiserie waren; aber irgend etwas hatte meine Aufmerksamkeit geweckt, ich ließ den Finger auf der Fernbedienung liegen, und als der dritte Ausschnitt begann, drückte ich sofort auf den Knopf, um auf normale Geschwindigkeit zurückzuschalten.
Sie stand nackt in einem ziemlich unbestimmbaren Raum —vermutlich einem Künstleratelier. Bei der ersten Aufnahme wurde sie mit gelber Farbe bespritzt — derjenige, der die Farbe verspritzte, war nicht im Bild. Anschließend lag sie mitten in einer blendenden Lache aus gelber Farbe. Der Künstler — man sah nur seine Arme — goß einen Eimer blauer Farbe über sie aus und verteilte diese über ihren Bauch und ihre Brüste; sie blickte dabei belustigt und vertrauensvoll in seine Richtung. Er ergriff ihre Hand und half ihr, sich auf den Bauch zu legen, dann goß er wieder Farbe auf sie und verteilte diese über ihren Rücken und ihren Hintern; sie bewegte dabei den Hintern im Rhythmus seiner Hände. Ihr Gesichtsausdruck und jede ihrer Gesten hatten etwas Unschuldiges, eine sinnliche Anmut, die geradezu ergreifend war.
Ich kannte die Arbeiten von Yves Klein, ich hatte mich nach meinem Besuch bei Vincent über ihn informiert und wußte daher, daß diese Aktion weder sonderlich originell noch künstlerisch interessant war; doch wer denkt schon an Kunst, wenn das Glück in greifbare Nähe rückt? Ich sah mir den Ausschnitt zehnmal nacheinander an: Ich hatte eine Erektion, das stimmt, aber ich glaube, ich habe in diesen ersten Minuten auch eine ganze Menge kapiert. Mir ging auf, daß ich
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