Die Mglichkeit einer Insel
glich Ferdinand Cabarel einem ehemaligen Groupie von AC/DC: bleiche Hautfarbe, fettes, schmutziges Haar, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Fuck your cunts« und Totenkopfringen. Ich sagte mir sogleich, daß ich selten so einen blöden Arsch gesehen hatte. Er konnte sich nur dadurch über Wasser halten, daß er seinen Teams einen tierischen Rhythmus abverlangte — er drehte pro Tag etwa vierzig Minuten, die verwendbar waren, machte nebenbei noch Werbe-Fotos für Hot Video und wurde darüber hinaus von der Branche als Intellektueller angesehen, vielleicht weil er behauptete, Filme aus einem inneren Bedürfnis zu machen. Ich lasse die Dialoge mal beiseite (»Ich mach dich geil, alte Schlampe, hm?« »Ja, du machst mich geil, du scharfe Sau«), ich gehe auch auf die bescheidenen Szenenanweisungen nicht weiter ein (»Jetzt kommt ein Dreier« wies natürlich darauf hin, daß die Schauspielerin von zwei Männern gleichzeitig penetriert wurde), nein, vor allem hat es mich verblüfft, mit welch unglaublicher Verachtung er die Schauspieler behandelte, vor allem die männlichen. Ohne die geringste Ironie, ohne jeden Humor brüllte Cabarel seinen Darstellern Sätze durchs Megaphon, wie zum Beispiel: »Wenn ihr nicht bald einen hochkriegt, ihr Säcke, dann gibt's keine Kohle!« oder: »Wenn der Arsch abspritzt, kann er gleich gehen …« Der Schauspielerin stand wenigstens ein Mantel aus unechtem Pelz zur Verfügung, damit sie ihre Blöße zwischen zwei Aufnahmen bedecken konnte; die männlichen Schauspieler mußten sich selbst eine Wolldecke mitbringen, wenn sie sich aufwärmen wollten. Schließlich gingen die Männer ja nur ins Kino, um die Schauspielerin zu sehen, sie würde vielleicht eines Tages auf dem Cover von Hot Video abgebildet werden; die männlichen Schauspieler wurden ganz einfach wie Pimmel auf zwei Beinen behandelt. Außerdem erfuhr ich (nicht ohne Schwierigkeiten, denn die Franzosen sprechen ja, wie man weiß, nicht gern über ihr Gehalt), daß die Schauspielerin fünfhundert Euro pro Drehtag verdiente, während sich die Kollegen mit hundertfünfzig begnügen mußten. Sie machten diesen Job nicht einmal, um Geld zu verdienen: so unglaublich und erschütternd sich das auch anhören mag, sie taten es, um Weiber zu vögeln. Ich erinnerte mich vor allem an die Szene in einer Tiefgarage: Es war bitterkalt, und als ich den beiden Typen zusah, Fred und Benjamin (der eine war Gruppenleiter bei der Feuerwehr und der andere Verwaltungsangestellter), die sich trübsinnig einen abwichsten, um bei dem anschließenden Dreier in Form zu sein, sagte ich mir, daß Männer doch manchmal wirklich brave Tiere waren, wenn eine Möse ins Spiel kam.
Diese wenig erfreuliche Erinnerung brachte mich nach einer so gut wie durchwachten Nacht schließlich dazu, ein Drehbuch zu entwickeln, dem ich vorläufig den Titel »Die Swinger der Autobahn« gab und das mir erlauben würde, sehr geschickt die kommerziellen Vorteile von Pornographie und extremer Gewalt zu verbinden. Während des Vormittags schrieb ich die Sequenz, die dem Vorspann vorausgehen sollte, und stopfte mich dabei mit Brownies in der Bar des Lutetia voll. Eine große schwarze Limousine (vielleicht ein Packard aus den sechziger Jahren) fuhr langsam zwischen Viehweiden und leuchtend gelben Ginsterbüschen eine Landstraße entlang (ich hatte vor, den Film in Spanien zu drehen, vermutlich in der Region Las Hurdes, die im Mai sehr schön ist); der Wagen erzeugte beim Fahren ein dumpfes Brummen (so ähnlich wie ein Bomber, der zu seinem Stützpunkt zurückfliegt).
Mitten auf einer Weide liebte sich ein Paar in freier Natur (es war eine Weide mit hohem Gras und vielen Blumen, Klatschmohn, Kornblumen und gelbe Blumen, deren Name mir im Moment nicht einfiel, aber ich schrieb an den Rand: »Vor allem viel gelbe Blumen«). Der Rock der jungen Frau war gerafft, ihr T-Shirt bis über die Brüste hochgeschoben, kurz gesagt, sie machte den Eindruck einer geilen Sau. Sie hatte die Hose des Mannes aufgeknöpft und bedachte ihn mit einer Fellatio. Ein Traktor mit gedrosseltem Motor, der im Hintergrund zu sehen war, schien darauf hinzudeuten, daß es sich um ein junges Bauernpaar handelte. Eine kleine Lutschpartie in einer Pause beim Pflügen, Le sacre du printemps usw. Eine Kamerafahrt nach hinten klärte uns aber bald darüber auf, daß das Liebespaar sein Spielchen im Bildfeld einer Kamera trieb und daß es sich in Wirklichkeit um Dreharbeiten für einen Pornofilm handelte, und zwar vermutlich
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