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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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zu Verstärker, breitete Wilhelm seine Arme weit auseinander, um ihr zu zeigen, wie wenig die neuen technologischen Entwicklungen zwischen seine Arme passten. Helene gefiel seine Begeisterung. Sie gingen zum Ufer am Spreekanal. Durch die Rückkopplung in der HF-Stufe gelinge es, die benötigte Empfindlichkeit zu erzeugen. Helene begriff nichts, blieb aber aus Höflichkeit mit ihm stehen, als Wilhelm mitten im Satz innehielt, um ihr mit Gesten verständlich zu machen, wie sie sich den Aufbau des Gerätes vorstellen müsse.
    Helene wusste jetzt zwar, dass er Ingenieur war, aber es war nicht deutlich, ob er von seinen Entwicklungen oder denen anderer sprach. Helene verstand noch immer nicht, wovon er redete, sie mochte es, ihm dabei zuzuhören, zu sehen, wie er sich mit dem Taschentuch den Regen von der Stirn wischte, schließlich könne sie sich gewiss das Ausmaß der Erreichbarkeit und die Dimension der Informationsweitergabe noch gar nicht ganz vorstellen, schließlich würden dann alle Menschen zur selben Zeit dieselben Informationen erlangen, Ereignisse erfahren, die sie sonst oft nur mühsam und mit Tagen Verspätung aus der Zeitung erfahren haben – und aus welcher? Da gibt es ja inzwischen viel zu viele. Wilhelms wegwerfende Handbewegung war freundlich, aber bestimmt. Seine Freude hatte etwas Ansteckendes, Helene musste lächeln. Es war ihr gelungen, den Schirm zu öffnen. Ob er mit darunter wolle.
    Selbstverständlich, sagte Wilhelm und nahm Helene den Schirm aus der Hand, damit sie ihren Arm nicht strecken musste. Süße Mädel brauchen süße Kuchen, wusste Wilhelm und steuerte geradewegs eine kleine Konditorei an. Es gab Apfelkuchen und Kaffee. Helene mochte weder das eine noch das andere, aber sie wollte sich nicht zieren, sie wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Wilhelm sagte, und der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören, man werde schon in den nächsten Wochen in Serie gehen können, um dann zur Funkausstellung genügend Exemplare der neuen Entwicklung verkaufen zu können. Was sie von dem Namen Heilssender halte, fragte Wilhelm und lachte. Kleiner Scherz, sagte er, es gibt bessere Namen. Helene folgte seinem Witz nicht, aber es war ihr angenehm, ihn so selbstgenügsam sprechen zu hören.
    Hinter ihrem Lächeln versteckte sie ihre Müdigkeit, die sich nach dem langen Tag im Krankenhaus jetzt bei Kaffee und Kuchen in ihr ausbreitete. Ihr schien, sie machte im Zusammentreffen mit Wilhelm alles richtig, wenn sie aufmerksam blickte, mal staunend die Augenbrauen hochzog und mal nickte. Die Worte Sender und Empfänger erhielten eine eigenartige Be deutung, wenn sie ihm so zuhörte. Ein Zeitungsverkäufer betrat die Konditorei. Hier waren nur wenige Menschen versammelt, aber er nahm seine Mütze ab und erhob die sonore Stimme. Die Schlagzeilen der Abendzeitungen spekulierten über die verantwortlichen Hintermänner des Brandes vom Reichstag.
    In diesen Wochen wurde in der Straßenbahn und in der Untergrundbahn eine dumpfe Empörung laut. Überall, wo Menschen zusammentrafen, ihre Gesichter von der Kälte gerötet, ihre Mäntel nicht lang genug, weil vielleicht noch einem Kind eine Jacke hatte genäht werden müssen, wurde gemeckert, gemault und gestritten. Das wolle man sich nicht länger gefallen lassen. Nicht hinnehmen könne man das, nicht länger, nicht mit sich machen lassen wollte man das. Die Männer und Frauen waren aufgebracht.
    Wilhelm holte Helene so oft er konnte vom Krankenhaus ab, ein Kommunist nach dem anderen wurde verhaftet, Wilhelm ging mit seiner blonden Alice spazieren und führte sie in die Konditorei. Er sagte, es gefalle ihm, wie sie den Kuchen verschlinge, es sehe immer so aus, als habe sie seit Tagen nichts Anständiges gegessen. Helene hielt erschrocken inne. Sie war sich nicht sicher, ob sie wissen wollte, was Wilhelm dachte, wenn er sie essen sah. Essen war für sie zur lästigen Angelegenheit geworden, sie vergaß es häufig bis zum Abend. Der Apfelkuchen schmeckte ihr nicht, sie hatte ihn nur so schnell wie möglich hinter sich bringen, ihn aus dem Weg schaffen wollen. Wilhelm fragte, ob er ihr noch ein Stück bestellen dürfe. Helene schüttelte den Kopf, sie bedankte sich. Ihre Grübchen seien herzallerliebst, sagte Wilhelm jetzt und sah beglückt in ihr Gesicht. Helene war ungern verlegen. Ob sie das Theater möge, das Kino? Helene nickte. Sie war lange nicht im Kino gewesen, ihr fehlte das Geld. Nur einmal hatte sie zugestimmt, als Leontine und Martha sie

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