Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Krankenschwester ist sie.
Krankenschwester. Wilhelm sprach es ehrfürchtig aus, als bestehe kein nennenswerter Unterschied zwischen einer Nonne, der Jungfrau Maria und einer Krankenschwester. Ich begleite Sie.
Danke, das sollen Sie nicht. Helene setzte einen Schritt zur Seite und versuchte, an jenem großen jungen Mann namens Wilhelm vorbeizukommen. Er brachte sie zur Tür, half ihr in den Mantel und ließ sie mit Empfehlungen gehen.
Am nächsten Tag stand Wilhelm im Krankenhaus plötzlich vor ihr. Schwester, sagte er, Sie müssen mir helfen.
Helene war nicht nach gemeinsamem Lachen und Blicketauschen, sie wollte ihre Arbeit erledigen, die Betten im Zimmer Nummer zwanzig waren zu machen und der Patient in Zimmer einunddreißig, der nicht alleine die Toilette aufsuchen konnte, hatte schon vor zehn Minuten geklingelt.
Schwester Alice, hier auf dieser Bank werde ich Platz nehmen. Sie können von mir aus die Wache rufen oder den Oberarzt. Ich werde hier warten, bis Sie Feierabend haben. Das wird doch nicht mehr lange dauern?
Helene ließ ihn Platz nehmen. Sie ging ihrer Arbeit nach. Über zwei Stunden musste sie an ihm vorbeilaufen, die Frauen im Schwesternzimmer tuschelten. Der charmante Herr auf dem Flur sei wohl ein Verehrer. Was für ein stattlicher Mann, wie gut er aussehe mit seinem blonden Haar und den blauen Augen. Eine der Schwestern blieb bei Wilhelm stehen und begann ein Gespräch mit ihm. Später sagte sie im Vorübergehen zu Helene: Sag mir Bescheid, wenn du ihn nicht willst, dann nehm ich ihn.
Helene hätte ihr gerne gesagt, dass sie nehmen könne, was sie wolle. Aber eine Antwort auf die Tuschelei erschien Helene mühsam. Die Zunge lag ihr schlicht zu schwer im Mund. Schon während sie einem älteren Mann Geschlecht und Hintern wusch, musste sie ungeachtet des rohen Fleisches und des aufgebrochenen Furunkels, der vielen kleinen eitrigen Wunden, die sie mit Salbe und Puder versorgte, an Carl denken und daran, dass er nicht kommen und sie abholen würde. Niemals. Helenes Hals schmerzte, eng wurde er, fest schnürte er sich zusammen. Mit ihren Fingern voll Salbe und Puder konnte sich Helene nicht das Auge auswischen.
Ihre Hände, Schwester, die sind sanft und heilsam, dass ich immer nur nach Ihnen frage, ob Sie Dienst haben. Sie sind für diesen Beruf geboren, wissen Sie das, Schwester Helene? Der alte Mann, der mit dem Rücken zu Helene auf seinem Bett lag und vor Schmerzen schreien musste, wie Helene glaubte, wenn sie sein wundes Fleisch versorgte, verrenkte sich, um wenigstens in Helenes Richtung zu blicken. Er streckte seine Hand nach ihr aus, er zupfte an ihrem Ärmel. Dort, mit der Hand deutete er auf seinen Nachttisch. Schauen Sie, dort in der Schublade, Schwester Helene, da liegt etwas Geld, nehmen Sie es.
Helene schüttelte den Kopf, sie bedankte sich, sie wollte kein Geld. Wann immer ihr jemand etwas zusteckte, gab sie es zurück. Nur selten fand sie in ihren Kitteltaschen Münzen, die ihr jemand unbemerkt hineingesteckt hatte. Dieser alte Mann hier lag seit zwei Wochen auf der Station, sein Zustand verschlechterte sich. Er war enttäuscht, dass Helene sein Geld nicht wollte. Nehmen Sie es, forderte er sie auf. Wenn Sie es nicht nehmen, klaut es eine andere.
Soll sie. Helene verschloss die Puderdose, breitete die Decke über seinem Körper aus und brachte die Waschschüssel hin über zum Waschbecken, dort reinigte sie das Waschgeschirr und ihre Hände. In ihrem Rücken stöhnte ein anderer Patient, er könne nicht mehr warten. Sie ging zu dem Bett des Mannes. Er benötigte die Bettpfanne und bat Helene, bei ihm zu bleiben, weil er sich nicht allein helfen konnte. Im Nachbarbett jammerte ein Mann wegen Schmerzen, er jammerte mit gepresster, heiserer Stimme, dass Helene wusste, er riss sich zusammen, so sehr er konnte.
Als Helene zwei Stunden später ihren Kittel in den Spind gehängt und sich ihren Rock, den Pullover und die Jacke angezogen hatte, wartete Wilhelm noch immer geduldig auf der Bank des Flurs.
Ob sie einen Kaffee trinken wolle? Helene war das recht, keine Frage des Wollens, eher eine des geringsten Widerstandes. Vor der Tür wollte sie ihren Regenschirm öffnen, doch er klemmte. Unter Lachen und ohne den Regen geschweige denn ihre Mühe mit dem Schirm zu beachten, erzählte Wilhelm ihr etwas von einer Rückkopplung im Volksempfänger, einem Rundfunkgerät, das man in wenigen Monaten zur Großen Deutschen Funkausstellung der Öffentlichkeit vorstellen wer de. Von Verstärker
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