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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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zubereiten. Wie immer, wenn es Fleisch gab, aß sie selbst davon nichts. Niemand sprach über den Grund, aber die Töchter waren sich einig, dass es mit gewissen Speisevorschriften zusammenhängen musste. Es gab keinen koscheren Metzger in Bautzen. Zwar ließen angeblich Kristallerers beim Metzger für ihre Bedürfnisse schächten, und es ging das Gerücht, dass sie für diesen Zweck auch eigene Messer zum Metzger brachten. Aber der Mutter war es offenbar nicht angenehm, mit solchen Wünschen in die doch überschaubare städtische Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht stimmte auch, was sie behauptete, und sie mochte einfach kein Fleisch.
    Zur Feier hatte Martha ihre Freundin Leontine einladen dürfen. Die Mutter trug ein langes Kleid aus kaffeefarbenem Samt. Den Saum hatte sie eigenhändig mit einer Spitze verlängert, die Helene unpassend und ein wenig lächerlich erschien. Schon am Abend zuvor hatte Helene Martha die Haare aufgewickelt und sie über Nacht trocknen lassen. Nun verbrachte sie den Nachmittag damit, Marthas Haare hochzustecken, in die kleinen Zöpfe flocht sie seidene Malven, so dass Martha schließlich aussah wie eine Prinzessin und ein wenig wie eine Braut. Dann half Helene dem Mariechen beim Eindecken des Tisches, es wurde das kostbare chinesische Porzellan aus dem Schrank geholt, die Servietten steckten in Rosenblättern aus Silber, die zur Aussteuer der Mutter gehört hatten und sonst nur zu Weihnachten benutzt wurden.
    Als es läutete, rannten Martha und Helene gleichzeitig zur Tür. Draußen stand Leontine. Sie versteckte ihr Gesicht hinter einem großen Strauß, den sie offenbar unten auf den Wiesen gepflückt hatte. Kornblumen, Raute und Gerste. Sie lachte wild und drehte sich einmal im Kreis: Sie hatte ihr Haar kurz geschnitten. Wo zuvor ein strenger Dutt im Nacken gesessen hatte, war nun der weiße Hals sichtbar, die Strömung des kurzen Haars mit ihren Wirbeln, das Ohr. Helene konnte sich nicht sattsehen.
    Später bei Tisch haftete Helenes Blick an Leontine, sie versuchte, ihn loszureißen, aber vergebens. Helene bewunderte Leontines langen Hals. Sie war schmal und kräftig. An ihren Unterarmen konnte Helene jede Ader und Sehne erkennen. Leontine arbeitete mit Martha im Städtischen Krankenhaus. Zwar war sie nicht Oberschwester und auch noch viel zu jung dafür, aber dennoch hatte sie mit ihren dreiundzwanzig Jahren seit einigen Monaten die erste Stelle unter den Schwestern im Operationssaal inne. Leontine war die rechte Hand des Chirurgen. Sie konnte jeden Patienten alleine heben – und zugleich waren ihre Hände während den Operationen so ruhig und bestimmt, dass der erst kürzlich zum Professor ernannte Chirurg sie bei schwierigen Nähten immer häufiger um Hilfe bat.
    Wenn Leontine lachte, lachte sie tief und lang.
    Wann immer sich die Gelegenheit bot, verbrachte Helene ihre Zeit mit Martha und Leontine. Leontine lachte, dass es einem das Zwerchfell rührte. Wenn sie sich hinsetzte, konnte man deutlich sehen, wie unter dem Rock ihre spitzen Knie auseinanderfielen. Sie saß völlig ungerührt und selbstverständlich breitbeinig da. Hin und wieder stützte sie ihre Hand auf das Knie, und winkelte dabei den Arm leicht an, so dass der Ellenbogen nach außen stand. Es gab kurze, knappe Bemerkungen, die von einem Unglück erzählten, denen aber ihr tiefes Lachen folgte. Meist lachte Leontine allein. Martha und Helene lauschten ihrem Lachen mit offenem Mund; vielleicht konnte das Lachen so besser durchs Zwerchfell in die Bauchgrube sickern. Martha und Helene brauchten lange, bis sie wenigstens ahnten, worüber Leontine gelacht hatte. Sie mochten blöde dabei aussehen. Sie schüttelten nicht den Kopf, weil sie Leontines Lachen für ein Lachen am falschen Platz hielten, sondern weil sie staunten. Besonders gefiel Helene die Stimme. Sie war fest und klar.
    Als sie nun zu Marthas Geburtstag mit dem Rinderbraten in ihrer Mitte am Tisch saßen, sagte Leontine: Mein Vater will mich studieren lassen.
    Studieren? Die Mutter war überrascht.
    Ja, er glaubt, es wäre gut, wenn ich mehr Geld verdienen könnte.
    Die Mutter schüttelte den Kopf. Aber ein Studium kostet. Sie reichte Leontine die Schale mit den Wickelklößen.
    Ich möchte auch nicht. Leontine strich sich mit der Hand das Haar aus der Stirn, ihr dunkles Haar fiel jetzt seitlich wie bei einem Mann.
    Nun nickte die Mutter zustimmend. Das ist verständlich. Wer möchte schon lauter unnütze Dinge lernen? Als Krankenschwester werdet ihr immer

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