Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Besser als dieses.
Und schlechter als jedes andere zuvor, sehe ich das richtig?
Helene nickte nicht, sie hasste es, der Mutter erwartete Worte und Gesten zu schenken.
Also. Der Schriftsetzer ist entlassen.
Die kommenden Wochen erschienen Helene als eine schwere Zeit. Sie war es nicht gewohnt, den ganzen Tag allein zu sein. Der Schriftsetzer hatte sich seit dem Tag der Kündigung nicht mehr blicken lassen. Es hieß, er habe mit seiner Familie die Stadt verlassen. Helene saß Tag für Tag in der Druckerei und wartete auf Kundschaft, die nicht kam. Aus Marthas Buch sollte sie für die Aufnahmeprüfung zur Schwesternschülerin lernen, aber sie blätterte es durch und entdeckte kaum etwas, das sie noch nicht wusste. Die genaue Reihenfolge der Kompressen und Wickel bei den verschiedenen Krankheiten gehörten schon eher zur Abschlussprüfung. Wie das meiste in dem Buch sich dem Wissen zuwendete, das während der Lehrzeit erworben werden sollte. Die wenigen unbekannten Einzelheiten waren mit dem Umblättern in ihrem Gedächtnis verankert. Also begann Helene andere Bücher zu lesen, die sie im Bücherregal des Vaters entdeckte. Das Herausnehmen eines Buches aus dem mächtigen Regal war den Töchtern verboten. Aber schon früher, als der Vater noch da war, galt es beiden Töchtern als Abenteuer und Mutprobe mit besonderem Kitzel, die kostbaren Bücher zu entwenden. Damit keine Lücke an der Stelle klaffte, wo eben noch Kleists Marquise von O. gestanden hatte, schob sie Stifters Condor weiter nach links. Es herrschte keine Ordnung im Bücherregal des Vaters, das quälte Helene ein wenig, aber sie war unsicher, ob diese Unordnung von der Mutter überwacht wurde und was geschehen konnte, würde sie eigenmächtig hier ein Alphabet walten lassen. Beim Lesen waren Helenes Ohren gespitzt, und sobald sie ein Geräusch hörte, ließ sie das Buch unter ihrer Schürze verschwinden. Häufig sah Helene zur Tür hinaus, wenn sie glaubte, Leontines tiefe Stimme zu erkennen. Einmal ging ganz unerwartet die Tür, herein kamen Martha und Leontine mit einem großen Korb, sie lachten.
Du hast vielleicht rote Wangen! Stellte Leontine fest und strich dabei flüchtig über Helenes Haar. Doch kein Fieber?
Helene schüttelte den Kopf, unter ihrer Schürze klemmte ein Schatz. Sie hatte ihn ganz oben im Bücherregal entdeckt, eingeschlagen in eine Zeitung hatte er hinter den anderen Büchern wie in einem Versteck gelegen. Er war mehr als hundert Jahre alt. Der Pappeinband war mit Buntpapier überzogen und der Titel geprägt: Penthesilea. Ein Trauerspiel. Helene entschuldigte sich kurz bei Martha und Leontine, sie bückte sich hinter dem großen hölzernen Ladentisch und verbarg ihren Schatz im untersten Fach. Um es zu verdecken, legte sie einen der alten Bautzener Wirtschaftskalender über das Buch.
Ein Bauer aus den Lausitzer Bergen hatte den Korb Leontine zum Dank geschenkt. Vor Monaten hatte sie ihm einen schwierigen Bruch des Handgelenks geschient. Jetzt stellte Leontine den großen Korb vor Helene auf den Tisch. Er war voller dicker, hellgrüner Schoten. Ohne Zögern griff Helene mit beiden Händen hinein und pflügte die Schoten. Es roch grasig und jung. Helene liebte das Aufziehen der Schoten mit dem Daumen, und das Gefühl, wenn die Erbsen, glatt und glänzend und grün, von oben nach unten der Größe nach aus ihrer Schote geschoben wurden und am Daumen entlang hinab in die Schale rollten. Die winzigen, noch nicht ausgewachsenen Erbsen steckte sich Helene in den Mund. Martha und Leontine unterhielten sich über etwas, von dem Helene nichts verstehen sollte. Sie kicherten dabei und glucksten. Sie sprachen nur in rätselhaften Halbsätzen.
Alle Schwestern und Kranken hat er nach dir gefragt. Und dann sein Blick, als er dich endlich gefunden hatte! Martha war belustigt.
Mein Kindchen. Leontine verdrehte die Augen, während sie offenbar den Bauern nachahmte.
Ach, mir wird ganz blümerant, wenn ich Sie wiedersehe, fiel Martha ein. Sie prustete. Mit Leib und Seele Schwester!
Etwa nicht? Leontine lachte.
Gewiss. Du hättest sehen sollen, wie seine Hand immer wieder zur Hose ging. Ich dachte schon, er fällt gleich über dich her.
Aber unser guter Professor fand es gar nicht komisch: Nehmen Sie Ihre Erbsen und verschwinden Sie, Sie hatten schon heute Mittag Feierabend. Leontine seufzte. Wo ich ihm sonst nie lang genug bleibe.
Wundert dich das? Hast du nicht gehört, wie er letztens zur Oberschwester über dich sagte: Ein Blaustrumpf im
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