Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Backfischmantel. Helene musste sich einen blauen Strumpf im Teig mantel vorstellen. Sollte sie sich den Fisch im Strumpf im Teig denken?
Er schätzt dich, aber seine Furcht wächst.
Furcht? Leontine machte eine wegwerfende Handbewegung. Herr Professor kennt keine Furcht. Warum auch? Krankenschwester bin ich, sonst nichts.
Die Mädchen pulten die Erbsen.
Das Schweigen zwischen ihnen wurde lang. Und wenn du doch gehst? Martha war zu allem bereit.
Um keinen Preis wollte Helene jetzt Marthas ernstes Gesicht sehen, sie stellte sich vor, sie wäre unsichtbar.
Leontine reagierte nicht.
Nach Dresden, meine ich. Studieren. Alle sagen das.
Niemals. Leontine zögerte. Nur, wenn du auch gehst.
Das ist dumm, Leontine, einfach dumm. Martha wurde traurig und streng. Du weißt, dass ich nicht kann.
Siehst du, sagte Leontine, ich auch nicht.
Martha legte nun ihrer Freundin die Hand in den Nacken, zog ihr Gesicht zu sich heran und küsste sie auf die Lippen.
Helene stockte der Atem, schnell drehte sie sich weg. Gewiss gab es etwas zu tun, sie musste in dem hohen Regal etwas suchen, vielleicht einen Stapel Papier aus dem Fach nehmen und ihn auf den Tisch legen. Das Bild schien wie eingebrannt auf ihrer Netzhaut, wie Martha Leontine zu sich zog und Leontine die Lippen spitzte. Vielleicht hatte sich Helene getäuscht? Vorsichtig riskierte sie einen Blick über die Schulter. Leontine und Martha standen über den Korb mit den Schoten gebeugt, und es war, als hätte es keinen Kuss gegeben.
Und wenn du sie mitnimmst? Sie könnte in Dresden zur Schwesternschule gehen. Leontine sprach jetzt leise und ihr Blick deutete auf Helene. Helene tat, als habe sie nichts gehört und würde nicht bemerken, dass von ihr die Rede war. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Martha den Kopf schüttelte. Das folgende Schweigen war beharrlich. Helene spürte, dass ihre Gegenwart dem Gespräch im Wege stand. Im ersten Moment wollte sie die beiden allein lassen und rausgehen, im nächsten blieb sie einfach stehen. Helene konnte ihre Füße nicht bewegen, sie entnabelte die Erbsen und empfand Scham. Sie wollte nicht, dass Leontine sie verließ, sie wollte nicht, dass Martha und Leontine wegen ihr schwiegen, und sie wollte auch nicht, dass sich Martha und Leontine küssten.
Abends im Bett drehte Helene Martha den Rücken zu. Mochte Martha sich ihren Rücken selbst kraulen. Helene wollte nicht weinen. Sie atmete tief und ihre Augen wurden immer dicker, die Nase kleiner und enger. Das Luftholen fiel schwer.
Helene wollte keine Sommersprossen zählen und unter keiner Decke nach Marthas Bauch tasten. Sie dachte an den Kuss. Und während sie sich vorstellte, Leontine zu küssen, und wusste, dass allein Martha Leontine küssen würde, entkamen Tränen ihren Augen.
Die Mutter verlangte von Helene, die Druckerei so zu führen, dass keine roten Zahlen geschrieben wurden. Das war von Tag zu Tag leichter möglich. Ein zuletzt eingetragener Gewinn konnte spielend die im zahlenmäßigen Verhältnis gering erscheinenden Verluste vom Jahresanfang ausgleichen. Was das bedeutete, war der Mutter nicht klar. Sie wunderte sich nur, wie selten Helene eine der Maschinen anwarf.
Um nicht sinnlos Papier zu verschwenden, entwarf Helene einfache Rechentabellen. Sie vermutete, dass die Leute sie in dieser Zeit der Teuerung gut gebrauchen konnten.
Schon der Anblick einer solchen Tabelle stimmte Helene froh. Wie gerade ihre Zahlen standen. Es hatte sich gelohnt, der Acht größeren Raum zu geben, und wie sauber der Rand war!
Als sich die Entlassung des Schriftsetzers in der Stadt herumsprach, dauerte es nicht lange und die Bäckersfrau Hantusch legte Helene ein ungewöhnlich kleines und zu scharf gebackenes Brot auf den Ladentisch.
Helene fragte, ob sie nicht eines der beiden größeren und helleren Brote aus dem Regal bekommen könne. Doch die Bäckersfrau, die ihr noch vor wenigen Jahren kleine Stücke Butterkuchen in die Hand gedrückt hatte, schüttelte nach bestem Vermögen ihren halslosen Kopf. Die tiefe Falte, die den knappen Übergang von Brust zu Kopf kennzeichnete, bewegte sich beim Schütteln des Kopfes keinen Millimeter. Helene solle froh sein, dass sie überhaupt noch eines kaufen könne. Helene nahm das Brot.
Armes Ding. Die Bäckersfrau japste, ihre schweren Lider verdeckten die Augen, aus ihren Worten sprach Mitleid, aber sie klangen zugleich empört und beleidigt. Bedienst jetzt schwere Maschinen. Ein Mädchen an Maschinen. Die Bäckersfrau schüttelte auf ihre
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