Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Augenbrauen runzeln, dabei bildeten sich lediglich winzig feine Falten über ihrer Nase, so flach war die Delle zwischen ihrer gewölbten Stirn und der auffallend kleinen Nase.
Ich weiß, ich weiß. Und ist die Liebkosung mit ihm gestorben, Engelchen?
Helene reichte Martha einen Becher voll Wasser. Trink, ich hoffe, dann lichtet sich dein Nebel.
Ts ts ts, Nebel, mein Herzchen. Martha schüttelte den Kopf. Das hier ist Frühlings Erwachen, Engelchen.
Bitte, zieh dich an, ich helf dir. Ehe Martha Helenes Angebot zurückweisen konnte, knöpfte Helene ihr das Kleid zu.
Und ich dachte, du wolltest mich küssen, mein Herz. Geantwortet hast du nicht. Du erinnerst dich an meine Frage?
Helene kniete jetzt vor Martha, um ihr in die Schuhe zu helfen. Martha ließ sich wieder rückwärts aufs Bett fallen und säuselte: Herzchen, Herzchen, du wirst mir doch antworten.
Als Helene Marthas Schnürstiefel zugebunden hatte, zog sie an ihrem Arm, damit sie sich aufsetzte. Marthas langer Oberkörper war schwer und schwankte. Sie sank zurück.
Mein Fuß, er ist zu leicht für das Parkett, halt ihn bitte fest. Helene sah, wie Martha beide Beine steif von sich streckte, so dass sie über den Rand des Bettes ragten, dabei atmete sie tief Luft ein und zog ihre Schultern hoch.
Kannst du aufstehen?
Nichts besser als das. Martha richtete sich nun, gestützt auf Helenes Arm, auf und hob ihren Kopf, mit dem sie Helene nur noch wenig überragte. Ihre Worte kamen gestochen scharf aus ihrem Mund, jedes S zischte, nur die Abstände zwischen den einzelnen Worten waren auffallend lang. Vielleicht glaubte Mar tha, so sprechen zu müssen, um klar und nüchtern zu wirken.
Jemand klopfte von außen an die Tür.
Ja bitte? Helene öffnete, und das Hausmädchen Otta trat mit einem kurzen Schritt zur Seite und einem Knicks ein. Ihr Häubchen saß so weiß und steif in ihrem Haar, als habe es am heutigen Abend noch keinerlei Anstrengung gegeben.
Wenn ich den Mademoiselles noch behilflich sein kann?
Danke sehr, wir finden uns zurecht. Helene zupfte ein Haar von Marthas Kleid. Wie sprach man in Berlin wohl das Hausmädchen an?
Sie werden gleich den Gong hören, das Essen beginnt. Wenn Sie kommen und sich setzen wollen?
Wir wollen, sagte Martha feierlich und schritt erhobenen Hauptes am Hausmädchen vorbei in den langgestreckten Flur. Ihr Schwanken war kaum zu erkennen.
Bei Tisch gab es Platzkarten.
Sobald sich die Abendgesellschaft gesetzt hatte, erhob sich ein Herr am Kopf des Tisches. An jedem Finger seiner Hand steckte ein Ring, einer prächtiger als der andere. Bonsoir, mes amis, copains et copines, cousin et cousine. Er erhob sein Glas vornehm in die Runde. Die schmalzig zurückgekämmten Haare lagen auf seinem Hemdkragen auf, sein weißes Gesicht wirkte geschminkt. Er lachte schallend und sprach nun Deutsch mit französischem Akzent. Es ist mir eine Ehre, meiner lieben Cousine, ach, werfen wir heute die Lügen über Bord und widmen uns anderen Lastern, es ist mir eine Freude, meiner jungen Geliebten ein noch langes Leben zu wünschen. Auf Fanny, auf unsere Freundin!
Helene blickte erstaunt in die Runde. Sollte er Fanny gemeint haben, Tante Fanny? Wie konnte er sie als seine junge Geliebte bezeichnen, wo sie doch Mitte vierzig sein mochte und der Sprecher keine dreißig war? Fanny dankte, sie lächelte mit ihren schwarzen Augen, deren Wimpern schwer über den Augäpfeln hingen. In ihrem Haar funkelten Sterne. Sie legte sich selbst die Hand an den langen Hals und es schien, als streichele sie sich, hier am Tisch, vor ihren Gästen. Über ihrem kurzen dunklen Haar spannte ein Netz, das wohl von Diamanten übersät war. Vielleicht waren es auch nur Glassteinchen. Aber sie trug sie wie Diamanten. Die Damen und Herren erhoben ihre Gläser und stießen enchanté und à votre santé, ma chère und à mon amie auf Tante Fanny an.
Schräg gegenüber am Tisch hielt sich Martha aufrecht, ihre Augen leuchteten, sie plauderte mit ihren Nachbarn, lachte immer wieder hell auf und ließ sich Champagner nachfüllen. Helene behielt sie im Auge, sie wollte achtgeben auf Martha. Die Köstlichkeiten rührte Martha kaum an, mal stocherte sie mit der Gabel in der Pastete und später pustete sie unaufhörlich ins Soufflé, als wäre dieses zu heiß. Aus einem großen messingfarbenen Trichter knarzte es, es knackte, eine Stimme krächzte: In fünfzig Jahren ist alles vorbei. Als es vom Tisch zur Chaise longue ging, nahm Martha dankbar den Arm des Mannes, der beim
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