Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Bautzen zu besuchen. An jedem Monatsanfang kam ein Brief vom Mariechen. Es beschrieb den Gesundheitszustand der Mutter, berichtete vom Wetter und den häuslichen Finanzen. Während Fanny Marthas Gesellschaft genoss, sie in jeden Club und jede Revue führte, genoss Helene die Stille der Beletage. Was für eine umfangreiche Bibliothek besaß Fanny, alles Bücher, die sie selbst offensichtlich nie gelesen hatte, deren Anblick ihr aber schmeichelte. Oft verbrachte Helene ihre Nächte lesend auf der Chaiselongue. Stolperten Fanny und Martha am frühen Morgen zur Tür herein, stets im Hintergrund hielt sich der Mann, den sie im Schlepptau hatten, und fiel ihr Blick auf Helene, brachen sie in Gelächter aus. Rümpfte Fanny die Nase? Vielleicht war es ihr nicht recht, dass Helene ihre Bücher las. Kindchen, spottete Fanny und hob drohend den Zeigefinger, wer schön werden will, muss schlafen. Lag Helene später im Bett und roch den Rauch und das Parfum von Marthas Nacht, streckte sie zögernd die Hand aus. Sie strich ihr über den Rücken und ließ die Hand auf Marthas Hüfte liegen. Mit dem gleichmäßigen Atem der Schwester schlief Helene ein.
Ich liebe euch, beteuerte Fanny eines Vormittags, als sie bei Tee und Ingwerstäbchen am niedrigen Tisch ihrer Veranda saßen, dessen Kacheln blass mit Rosen bemalt waren. Die Veranda war vom Duft der Bergamotte ausgefüllt, Fanny trank ihren Tee mit viel Kandis und ohne Milch. Auf dem Tisch stand wie jeden Morgen ein Teller mit Mohnkuchen, von dem Helene aus Scheu vor dem unaufgeforderten Über-den-Tisch-Langen und dem Zugreifen noch nie gekostet hatte. Gewiss lag Fannys Liebhaber noch im Bett, in der Kemenate, wie Fanny gern sagte. Zumindest einer von ihnen. In letzter Zeit war häufig ein neuer da, der große, blonde Erich. Wie Bernard war auch er einige unbedeutende Jahre jünger als Fanny. Noch schien sich Tante Fanny zwischen beiden nicht entschieden zu haben, aber es kam selten vor, dass sie gleichzeitig zu Gast waren. Wie Bernard schlief auch Erich meist bis zum Mittag, doch während sich Bernard den Rest des Tages mit Wettgeschäften rund um die Pferderennen und als Zuschauer auf der Trabrennbahn seine Zeit vertrieb, lockte es den großen blonden Erich auf die Tennisplätze am Grunewald und jetzt im Winter in die Hallen. Einmal hatte er Helene gefragt, ob sie ihn begleiten wolle. Dafür hatte er einen Augenblick abgepasst, in dem Fanny nicht zugegen war, und er hatte dabei Helene so plötzlich und ungestüm seine Hand in den Nacken gelegt, dass Helene seither Begegnungen mit Erich fürchtete. Zwar beachtete er sie in Fannys Beisein nicht im Geringsten, umso jäher aber fielen seine Blicke über Helene her, kaum dass Fanny ihnen den Rücken zukehrte. Die Fenster der Veranda waren beschlagen, in der Wohnung wurde noch kräftig geheizt, und der Februarschnee blieb auf den Bäumen und Dächern liegen.
Die Tür wurde geöffnet und das Hausmädchen Otta brachte auf einem Tablett eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Tee. Aus Ceylon, sagte Otta und stellte die Kanne auf den Tisch. Sie stülpte einen silbern schimmernden Wärmehut über die Kanne und entschuldigte sich.
Ich liebe euch, flüsterte Fanny wieder. Ihr schwarzer Königspudel, der auf den Namen Cleo hörte, sie sprach es englisch aus und behauptete, es käme von Cleopatra, wedelte mit dem kurzen Schwanz, ein weiches Knäuel. Sein Fell glänzte. Er blickte aufmerksam von einer jungen Frau zur anderen. Wenn Fanny ihm ein kleines Stück vom Mohnkuchen zuwarf, schnappte er es auf, ohne sie dabei anzusehen, so, als warte er auf keine süße Zuwendung, sondern gehöre seine Aufmerksamkeit ganz dem Gespräch. Mit dem Taschentuch tupfte sich Fanny die Nase ab, nicht nur im Winter musste sie häufig schniefen.
Meine Nase ist wieder gereizt, flüsterte sie und starrte dabei gedankenverloren auf ihre Knie, wie überhaupt meine Sinne, meine Kinder, ich liebe euch.
Auf der hölzernen Lehne von Marthas Sessel saß Leontine und wippte ungeduldig mit den Zehen. Martha hatte Leontine im Sommer wiedergetroffen, seither sahen sich die beiden jeden Tag. Immer häufiger übernachtete Leontine in der Beletage der Achenbachstraße.
Mein Freund sagt, sie haben nur eine Stelle frei. Sie suchen eine erfahrene Schwester. Das ist Martha. Fanny machte einen mitleidigen Schnabelmund in Helenes Richtung, sie klimperte mit den Wimpern, damit Helene ihr Bedauern erkannte und für wahr nahm. Gute Helene, Liebchen, für dich werden wir etwas anderes
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