Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
fiel es ihm zunehmend schwerer, das Positive in seinen Mitmenschen zu sehen.
“Hast du die Talmqvist gesehen?”, raunte sie ihm gerade zu. “Du lieber Himmel, in ihrem Alter sollte sie wirklich nicht mehr so tief ausgeschnittene Dekolletés tragen!”
Ganz offensichtlich amüsierte Matilda sich prächtig, was ihn eigentlich nicht verwundern sollte – sie war schließlich genau in ihrem Element. Konnte er ihr das verübeln, nur weil er sich auf den Partys der High Society immer ein wenig unwohl fühlte? Matilda war in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und hatte von ihrem Vater stets alles bekommen, was sie sich wünschte. Besser, er gewöhnte sich rasch daran. Schließlich stand außer Frage, dass er Matilda heiraten würde. Das schuldete er dem Andenken an Kristian.
Die Erinnerung an seinen Cousin traf einen wunden Punkt, den Henrik lieber nicht anrühren wollte. Er zwang sich, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Unwillkürlich wanderten sie zu der schönen Unbekannten, deren seidener Schal in der Tasche seines Jacketts steckte. Er wusste selbst nicht, warum er ihn auch jetzt noch bei sich trug. Vielleicht, weil er gehofft hatte, sie heute Abend auf der Feier wiederzusehen.
Unauffällig ließ er den Blick durch den Saal schweifen. Doch so sehr er sich auch bemühte – er konnte sie unter den Gästen des Banketts nicht ausmachen. Das Gefühl der Enttäuschung, das ihn deshalb unwillkürlich beschlich, irritierte ihn selbst. Er hatte diese Frau nur einmal ganz kurz gesehen. Trotzdem war es ihr gelungen, einen bleibenden Eindruck bei ihm zu hinterlassen. Schon die ganze Zeit über schlich sie sich immer wieder in seine Gedanken, und er schaffte es einfach nicht, sie sich aus dem Kopf zu schlagen.
Hör endlich auf damit, wies er sich selbst zurecht. Du solltest es wirklich besser wissen! Hast du aus der Geschichte mit Ingrid denn überhaupt nichts gelernt? Dein Verhalten ist für einen Mann deines Alters vollkommen unwürdig.
Es stimmte: Er musste sich zusammenreißen. Daher nahm er sich vor, für den Rest des Abends der perfekte Begleiter zu sein, den die Frau, die er bald heiraten würde, verdiente.
Doch leider ließ sich dieses Vorhaben alles andere als einfach in die Tat umsetzen, weil Matilda und er kaum etwas gemeinsam hatten. Endlos ließ sie sich über den Schmuck und die Kleidung der anwesenden Gäste aus – über Dinge also, die ihn absolut nicht interessierten. Bereits eine halbe Stunde später war Henrik nicht mehr in der Lage, ein Gähnen zu unterdrücken.
“Du bist wirklich unmöglich!”, zischte Matilda verärgert. “Da ich dich ja so offensichtlich langweile, werde ich mir wohl besser jemanden suchen, der meine Gesellschaft zu schätzen weiß!”
Mit diesen Worten ließ sie ihn einfach stehen. Er versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Ganz davon abgesehen, dass man mit ihr einfach nicht reden konnte, wenn sie wütend war, wollte er es auch gar nicht. Im Grunde war er sogar froh, eine Weile allein zu sein.
Als Matilda kurz darauf Arm in Arm mit einem gut aussehenden jungen Mann auf die Tanzfläche trat, verschwand Henrik durch die offen stehende Gartentür ins Freie. Nach der stickigen Hitze des Ballsaals empfand er die kühle Nachtluft als Wohltat. Langsam schritt er die Doppeltreppe hinunter und trat an die Brüstung der Terrasse, die das gesamte Schloss umfasste und von der aus man über eine weitere breite Treppe in den Schlosspark gelangte. Dort blieb er stehen, atmete tief durch und ließ den Blick über den nächtlichen Barockgarten schweifen.
Der fast volle Mond tauchte das Gelände in seinen silbrigen Glanz, und am wolkenlosen Himmel glitzerten unzählige Sterne. Wie geschaffen für einen romantischen Spaziergang, dachte er.
Jedoch kreisten seine Gedanken dabei keineswegs um Matilda, sondern um die schöne Unbekannte.
Abermals schüttelte er über sich selbst den Kopf.
Hör endlich auf damit!
An der Heirat mit Matilda führte kein Weg vorbei. Und dabei ging es Henrik nicht nur darum, wieder gutzumachen, was Kristian durch seine Schuld zugestoßen war …
Er durfte auch das Schlosshotel, die vielen Mitarbeiter und deren Angehörige nicht vergessen. Das Familienunternehmen steckte in großen finanziellen Schwierigkeiten, und von Henrik wurde erwartet, dass er wieder alles ins Lot brachte. Doch das war nur mithilfe eines kurzfristigen Kredits möglich, den derzeit nur Matildas Vater beschaffen konnte. Als Vorstandsvorsitzender einer großen schwedischen
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