Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
Vom Netzwerk:
wusste, wo sie war. Der taghelle Schimmer, der durch das Bullauge fiel, verriet ihr, dass sie länger geschlafen hatte, als sie es vorgehabt hatte.
    Sie wickelte sich die Decke fest um den nackten Leib, öffnete vorsichtig die Tür der Kajüte – und erwachte in einen Traum hinein.
    Sie war allein auf einem kleinen weißen Boot, und um sie herum nichts als das Meer.

10
    E in Aufschrei ließ sie zusammenfahren.
    Neben dem Schiff, etwa zwanzig Meter entfernt, war ein Mann aus den Wellen aufgetaucht – mit weißen Haaren, Schnauzbart und großen, schwarzen Augen.
    Marianne ruderte noch für Sekunden vergeblich mit den Armen und fiel dann mit einem »Huch!« über Bord.
    Sie versank im Wasser wie ein Stein. Als der erste Schluck Meerwasser ihre Kehle hinabrann, riss sie die Augen auf.
    Nein! Nein!
    Sie trat mit den Füßen, die verknotete Decke löste sich von ihrem Körper und schwamm davon. Mit letzter Kraft tauchte Marianne aus den Wogen auf und atmete tief die rettende Luft ein.
    »Hilfe«, rief sie schwach, eine salzige Welle erstickte ihren Schrei.
    »Madame!«, rief der Mann, sie trat in Panik nach ihm und erwischte eine empfindsame Stelle. Er schrie auf und ging unter.
    »Entschuldigung«, japste Marianne. Sie bekam die Bootsleiter zu fassen. Der Mann tauchte neben ihr auf. Dabei rutschte ihm seine übergroße Sonnenbrille vom Gesicht.
    Marianne kämpfte sich die Leiter hinauf, bedeckte zutiefst beschämt ihre Blöße mit beiden Händen, lief zur Kajüte und schloss sich ein.

    Simon konnte es nicht fassen. Eine Frau. Auf seinem Boot. Nackt.
    »Hallo?«, rief der Bretone. »Sin’ Sie noch da? Ich zähl bis zehn und dann komm ich. Wenn ich Sie dann noch in einer unangenehmen Situation … also … ich bin bald siebzig und brauch ’ne Brille, Sie haben also nichts zu befürchten.«
    Nichts.
    Simon beschloss, dass er immer noch betrunken sein musste.
    Er sehnte sich nach einem starken kafe mit kalva. Nichts war besser, den Kater zu bändigen, als morgens mit dem Getränk weiterzumachen, mit dem man in der Nacht vermutlich aufgehört hatte.
    Und dann würde er nach dieser Piratenbraut sehen. Sie hatte Augen, die einen Mann umbringen konnten. Ganz helle Augen wie frisches Grün an den Apfelbäumen im Frühling. Ganz jung war das Mädel nicht, aber irgendwie doch noch ein Mädel. Wie erschrocken sie gewesen war.
    Der betagte Fischer schwamm nicht gegen die Stärke des Meeres an, er ließ sich von ihr tragen. Das Wasser war kalt, vierzehn, fünfzehn Grad, doch Simon breitete sich in der Kühle aus, ließ sie durch sich hindurchfließen.
    Besser. Viel besser.
    Entschlossen kletterte er nun die Leiter hinauf, zog sich rasch seine Hose an, streifte sein ausgewaschenes blaues Hemd über den gebräunten Oberkörper und lichtete routiniert den Anker.

    Marianne beobachtete ihn durch das Bullauge. Sie hatte nichts von dem verstanden, was der Weißhaarige ihr aus dem Wasser zugerufen hatte. Seine Sprache war voller ch -Laute gewesen; eine Sprache, die sie noch nie zuvor gehört hatte.
    Marianne spürte das Rollen des Schiffsmotors unter ihren Füßen. Was würde er jetzt tun? Sie über die Planke jagen?
    Mit bebenden Händen strich sie sich die Haare glatt, nahm die Handtasche in die eine und ein Brotmesser in die andere Hand und öffnete dann die Kajütentür.
    »Bonjour, Monsieur«, sagte Marianne mit so viel Würde, wie es ihr möglich war.
    Simon ignorierte sie, bis sie aus der Rinne herausgefahren waren, in der die Tanker kreuzten. An seinem Stammplatz, von wo aus er den Archipel der Glénan-Inseln sehen konnte, drosselte er den Motor und musterte die Fremde. Das putzige kleine Messer erheiterte ihn.
    Er drehte die Thermoskanne auf, goss Kaffee mit Calvados in eine Tasse und reichte sie ihr.
    »Merci«, sagte Marianne und nahm beherzt einen tiefen Schluck. Sie hatte nicht mit dem Alkohol gerechnet und begann zu husten.
    »Petra zo ganeoc’h?«, hub Simon wieder an. Was fehlt Ihnen?
    »Je suis allemande«, erklärte Marianne stotternd. Sie hatte einen kleinen Schluckauf. »Und … ich m’appelle Marianne.«
    Er drückte Marianne kurz die Hand, sagte »Je suis breizh. M’appelle Simon« und ließ den Motor wieder anlaufen.
    Gut, das hatten sie geklärt. Simon seufzte erleichtert. Er war der Bretone, sie die Deutsche, un point, c’est tout.
    Marianne betrachtete das wogende Wasser, das das Boot umspülte. Schwarz und türkis, hellgrau und königsblau. Clara hatte recht: Wenn man die Augen zusammenkniff, hatte

Weitere Kostenlose Bücher