Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
dann«.
Laurine war furchtbar aufgeregt. Und wie immer, wenn sie aufgeregt war, flüsterte sie. »Ich bringe Sie jetzt zum Koch, er heißt Jeanremy. Der wird sich freuen! Er wartet so dringend auf Ihre Hilfe. Jeanremy! Jeanremy!«
Als Laurine Marianne hinter sich her zur Küche des Ar Mor dirigierte, blieb Marianne beklommen auf der Türschwelle stehen. »Ich … Verzeihung, aber …« Niemand hörte auf sie. Niemand.
Erst als der Mann sie ansah, sein rotes Kopftuch zurückschob und sie anlächelte, wandelte sich ihre Befangenheit in so etwas wie Erleichterung. Er war es!
»Was sind Sie denn, ein Hells Angel in Ausbildung?«, hatte Madame Ecollier vor zwei Sommern gefragt, als Jeanremy von seinem Motorrad gestiegen und zum Probekochen angerückt war: schwarze Jeans, rotes Hemd, Nietenboots. Er trug Ohrringe und eine Tätowierung im Nacken unter den dunklen Locken. Seine Lieblingsmesser hatte er in einer Messertasche verstaut, die wie ein Revolver an seinem Gürtel hing. Jedes seiner ledernen Armbänder symbolisierte eine der Küchen, in denen er in den letzten dreizehn Jahren seit seinem sechzehnten Geburtstag gekocht hatte.
Seinen Kochpiratenaufzug hatte Madame Ecollier goutiert: »Mir wäre es zwar lieber, Sie sähen mehr Louis de Funès statt Alain Delon ähnlich. Tant pis, kochen Sie und lassen Sie die Augen von den weiblichen Gästen. Und die Finger vom Personal. Und vom Alkohol, es sei denn, Sie schütten ihn in eine Kasserolle. Bon bouillonner, Perrig.«
Marianne fand ihn wunderbar. »Bonjour«, sagte sie kaum hörbar.
»Bonjour, Madame«, erwiderte Jeanremy Perrig, der Mann, der ihr die erste Auster ihres Lebens geschenkt hatte, und kam um den stählernen Küchenblock herum. »Schön, Sie wiederzusehen. Ich hoffe, die Austern haben Ihnen geschmeckt?«
»Das ist die neue Köchin«, flüsterte Laurine atemlos. »Mariann Lance!«
»Bist du dir sicher?«
»Oui«, hauchte Laurine. »Monsieur Simon hat sie im Meer gefunden. Mittendrin.«
Jeanremy fing Mariannes Blick auf. Mitten im Meer?
Er erinnerte sich, wie sie gestern in der Austernzüchterei auf ihn gewirkt hatte. Verloren und doch voller Willen, etwas ganz Bestimmtes zu finden. Das Verlorene war immer noch in ihren Augen, auch wenn sie versuchte, es mit einem zerbrechlichen Lächeln zu überdecken.
Jetzt erst sah Jeanremy Laurine an.
Laurine, dachte er, mein Kätzchen, was hast du nur mit mir gemacht. Er musste sich mit Gewalt von ihrem Anblick losreißen.
Marianne hoffte mit Unbehagen darauf, dass jemand ihr erklärte, warum sie eigentlich hier wartete. Verstohlen beobachete sie Laurine und Jeanremy, die einander nun ansahen, als ob jeder darauf wartete, dass der andere etwas sagte.
Schließlich wandte sich Laurine ab und ging nach draußen.
Jeanremy starrte vor sich hin. Dann schlug er mit der flachen Hand wütend über sich selbst auf den Tisch.
Marianne schreckte hoch und sah, wie der Koch sich an die blutende Hand griff. Sie ließ ihre Handtasche fallen. In der Küche des Hospizes hatte der Erste-Hilfe-Kasten an einem völlig nebulösen Platz gehangen, hinter der Tür, wo ihn keiner sah, weil die Tür immer offen stand. So war es auch hier. Sie holte eine Mullbinde, Druckverband und Spannpflaster aus dem Schrank, nahm Jeanremys Hand behutsam in ihre und untersuchte die Wunde: ein tiefer, glatter Schnitt über seinen Daumenballen. Jeanremy hatte die Augen geschlossen. Sie schob sein rotes Tuch zurück, das ihm über die Stirn gerutscht war.
Marianne legte ihre linke Hand auf Jeanremys verletzte Hand. Sie konnte seinen Schmerz spüren. In ihrer Hand. In ihrem Arm.
»Ist nicht schlimm«, murmelte sie.
Jeanremy entspannte sich, er atmete tiefer, während sie ihn geschickt verband. Marianne strich ihm sanft über den Kopf, so wie sie es bei einem kleinen Jungen getan hätte. Obgleich dieser Junge hier sie um Haupteslänge überragte.
»Merci beaucoup, Madame«, flüsterte der Koch.
Marianne drehte den größten der leeren Kochtöpfe um und bedeutete ihm, sich hinzusetzen; sie ließ sich auf einem kleineren ihm gegenüber nieder. Ihr Arm kribbelte. Dreimal setzte sie zum Sprechen an.
»Also. Ich weiß nicht, warum ich hier bin«, begann sie und lehnte sich an die kühle, geflieste Wand.
»Je m’appelle Marianne Lanz. Bonjour. Je suis allemande.« Sie dachte nach. Ihr fiel kein einziges brauchbares französisches Wort mehr ein. »Also … au revoir.« Sie stand wieder auf.
Und dann begann plötzlich der Deckel auf dem Topf mit der
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