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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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Lothar sie festgehalten. »Mach dich nicht lächerlich, Annilein, die ist doch selber schuld.«
    Er hatte sie daran gehindert, der Fremden zu helfen, und Marianne weiter in das Restaurant gezogen, in dem die Busreisegesellschaft einen Tisch bestellt hatte. Marianne hatte über die Schulter geschaut, bis die französische Reiseleiterin ihr kopfschüttelnd erklärt hatte: »Je connais la chanson – es ist immer dieselbe Leier, dabei ist es ihre eigene Schuld.«
    Lothar hatte genickt, und Marianne hatte sich selbst dort im Rinnstein gesehen. Das war der Anfang, und nun stand sie hier.
    Sie war noch vor der Vorspeise gegangen, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, zu sitzen und zu schweigen. Lothar hatte es nicht bemerkt, er war in ein Gespräch verwickelt, das er seit zwölf Stunden führte. Mit einer Frau aus Burgdorf, einer fröhlichen Witwe. Die Frau quiekte ständig »incroyable! – unglaublich!«. Ganz gleich, was Lothar sagte. Sie trug einen roten BH unter der weißen Bluse.
    Marianne war nicht einmal eifersüchtig gewesen. Nur müde. Sie hatte das Lokal verlassen und sich immer weiter treiben lassen, bis sie mitten auf dem Pont Neuf stehen geblieben war.
    Lothar. Es wäre einfach gewesen, ihm die Schuld zu geben.
    Aber so einfach war es nicht.
    »Selber schuld, Annilein«, wisperte Marianne.
    Sie dachte an ihre Hochzeit im Mai vor einundvierzig Jahren. Ihr Vater hatte ihr auf seinen Stock gestützt zugesehen, wie sie Stunde um Stunde vergeblich gewartet hatte, von ihrem Mann endlich zum Tanz gebeten zu werden. »Mein Stehaufmädchen«, hatte Mariannes Vater gesagt, seine Stimme vom Krebs geschwächt. Sie hatte gefroren in dem dünnen weißen Kleid und nicht gewagt, sich zu bewegen. Nicht dass alles nur ein Traum gewesen war und aufhörte, sobald sie einen falschen Schritt tat.
    »Versprichst du mir, dass du glücklich wirst?«, hatte ihr Vater sie gefragt, und Marianne hatte mit »ja« geantwortet. Sie war neunzehn.
    Am Ende war das nichts weiter als eine große Lüge gewesen.
    Ihr Vater war zwei Tage nach der Hochzeit gestorben.
    Marianne schüttelte den gefalteten Mantel wieder auf, schleuderte ihn auf den Boden und trampelte mutwillig auf ihm herum.
    »Schluss! Schluss jetzt! Schluss mit mir!« Sie trat ein letztes Mal auf den Mantel und kam sich verwegen vor.
    Das Gefühl verging so rasch, wie es aufgebrandet war. Sie hob den Mantel auf und legte ihn auf die Lehne der Bank.
    Selber schuld.
    Es gab nun nichts mehr, das sie ablegen konnte. Sie besaß keinen Schmuck. Keinen Hut. Sie besaß nichts. Ihre abgeschabte Handtasche, in der sich ein Paris-Reiseführer, ein paar Salz- und Zuckertütchen, eine Haarklammer, ihr Ausweis und ihre Geldbörse befanden, stellte sie zu den Schuhen und dem Ring.
    Marianne begann, auf die Brüstung zu steigen. Sie rollte sich erst auf den Bauch, zog das andere Bein nach und drohte dann zurück über die Kante abzurutschen. Ihr Herz klopfte hart, ihr Puls raste, der rauhe Sandstein schürfte ihre Knie auf.
    Ihre Zehen fanden einen Mauerspalt, sie drückte sich nach oben. Dann hatte sie es geschafft. Sie setzte sich auf und schwang ihre Füße über den Rand der Brüstung.
    Nur abstoßen und fallen lassen, dabei gab es nichts falsch zu machen.
    Marianne dachte an die Mündung der Seine bei Honfleur, die ihr Körper nach all den Schleusen und Ufern passieren würde, bevor er das Meer erreichte. Sie stellte sich vor, wie sie sich auf den Wellen um sich selber drehen würde; als ob sie tanzte, zu einem Lied, das nur sie und das Meer würden hören können. Honfleur. Da war Erik Satie geboren; sie liebte seine Musik, liebte ohnehin jede Art von Musik. Musik war wie ein Film, den sie hinter geschlossenen Lidern sah, und bei Satie sah sie das Meer, obgleich sie nie am Meer gewesen war.
    »Ich liebe dich, Erik. Ich liebe dich«, flüsterte Marianne; nie hatte sie das zu einem anderen Mann als Lothar gesagt.
    Wann hatte er zuletzt gesagt, dass er sie liebte?
    Hatte er es jemals gesagt?
    Marianne wartete auf die Angst, doch sie kam nicht.
    Der Tod ist nicht umsonst. Er kostet das Leben.
    Was ist meines wert?
    Nichts.
    Kein fairer Tausch für den Teufel.
    Selber schuld.
    Als sie ihre Hände fest in die Steinbrüstung stemmte und nach vorn rutschte, zögerte Marianne und dachte an die Orchidee, die sie im Müll gefunden hatte. Dass sie nach einem halben Jahr Pflege und Vorsingen nun nicht erleben würde, wie sich die Knospe öffnete.
    Dann stieß sich Marianne mit beiden Händen ab.
    Der

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