Die Monster von Templeton
Wirtshaus der Stadt.
Eines Tages klopfte es an der Tür. Als mein Vater sie öffnete, stand George Washington auf der Schwelle. Er verbeugte sich. Mein Vater verbeugte sich. Der General trat ein, und er war ein so ehrenhafter Gentleman, dass er sich seine Überraschung nicht anmerken ließ, als er mich sah, obwohl ich schon damals so haarig war wie ein kleiner Affe. Er sang mir ein Wiegenlied und schaukelte mich auf seinen Knien, bevor er sich zur Nachtruhe begab. Viele Jahre später, im zweiten Templeton im Staate New York, erzählte mein Vater allen, die es hören wollten, die Geschichte von Washington. Er tat es mit ehrfurchtsvoll leiser und verwunderter Stimme, die dadurch noch ruhiger wirkte, weil er sonst so extrem laut sprach. Ein Mann, der Güte ausstrahlte, sagte er; ein großer, guter Mensch.
In meinen Augen jedoch ist die Geschichte nur dann vollständig, wenn danach noch eine zweite erzählt wird, nämlich die von dem hessischen Oberst Van Dunop, der an der Seite von England kämpfte.Wie Washington klopfte auch dieser Oberst eines Tages an unsere Tür und trat in unser Gasthaus. Ich erinnere mich noch an sein Frettchengesicht und die langen, gelblich verfärbten Nägel. Anders als Washington erschrak dieser Mann durchaus, als sein Blick auf mich fiel. Er verzog angewidert das Gesicht und bat meine Mutter, mich wegzubringen. Ich verdürbe ihm den Appetit, sagte er und wies mit seinen gelblichen Nägeln auf mich. In seiner Wut schmuggelte mein Vater ein kleines, scharfes Brechmittel in seinen Hasenauflauf. Der Oberst wurde so krank, dass die amerikanischen Rebellen am nächsten Tag auf dem Schlachtfeld leichtes Spiel hatten.
Jahre später, nach dem Tode meines Vaters, schilderte ich meiner Frau Anna diese beiden Geschichten, um sie zum Lachen zu bringen. Sie bürstete vor dem Zubettgehen ihr Haar, und ich tauchte meine Hand in die üppige blonde Kaskade ihrer Haarpracht, so wie ein Kind sein Händchen in einen Teich steckt. Damals war sie hochschwanger und sogar noch schöner als in jenen Tagen, als mir zum ersten Mal bewusst geworden war, dass sie ein Auge auf mich geworfen hatte, ausgerechnet auf mich, der ich scheu war wie ein Maulwurf.
Viele Monate lang war diese große, rosige Bauerntochter mit mir von der Kirche nach Hause gegangen und hatte dabei so fröhlich geschnattert, dass ich selbst nichts zu sagen brauchte. Eines Tages dann legte sie mir die Hand auf den Arm, und ich begriff erschrocken, was sie im Sinn hatte. Ich schaute sie an, und sie sah mit ihren erröteten Wangen so hübsch aus wie eine Mohnblume. Ich bin kein Mensch, der zu überstürztem Handeln neigt, doch in diesem Moment begriff ich, welches Glück ich hatte, und hielt auf der Stelle um ihre Hand an.
An jenem Abend waren wir etwa ein Jahr verheiratet, und als ich ihr die beiden Geschichten erzählt hatte, drehte sie sich zu mir um. Im Kerzenschein konnte ich erkennen, dass Tränen in ihren Augen standen, und ich erschrak zutiefst, denn ich fürchtete, sie könne Schmerzen haben. Doch sie legte nur ihre Haarbürste beiseite und nahmmeine Hand in die ihren. O Richard, sagte sie.
Du
weißt doch wohl, warum du diese beiden Geschichten zusammen erzählst, oder?
Nun, eigentlich nicht, Anna, erwiderte ich, ein wenig befremdet. Ich hatte sie zum Lachen bringen wollen; doch stattdessen hatte ich sie zu Tränen gerührt. Ganz anders als mein Bruder war ich nie besonders geschickt darin gewesen, andere in gute Laune zu versetzen. Es tut mir leid, wenn ich dir wehgetan habe, sagte ich. Ich hatte mir einfach vorgestellt, die Geschichten seien auf diese Weise humorvoller.
Sie drückte meine Hand und lächelte mich an, betupfte ihre Augen. Du hast mir nicht wehgetan, sagte sie. Aber ich weiß, warum du sie so erzählst.
Ach ja?, fragte ich das liebe Mädchen und strich mit dem Daumen über ihre hübsche Wange.
Ja, sagte sie, ich weiß es. Zusammen beweisen sie, dass dein Vater dich wirklich geliebt hat. Du fürchtest, er könnte es nicht getan haben, Richard, aber irgendwo tief in dir drinnen weißt du, dass er es tat. Und eines Tages wirst du ihm vergeben, weißt du.
Ich war wie vom Donner gerührt. Ich hatte ihr nie erzählt, dass ich meinem Vater nicht verzeihen könne; niemandem hatte ich das je gesagt. Nur ein einziges Mal hatte ich es in meinem Tagebuch erwähnt, und meine Anna war viel zu ehrenhaft, um etwas so Vertrauliches zu lesen. Folglich musste mein Schatz irgendwie erraten haben, was in meinem Kopf vorging.
Was ich als
Weitere Kostenlose Bücher