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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Problem liegt, John – es ist doch nur ein bisschen Haut und ein paar Körperflüssigkeiten, und …»
    «… na ja, dann weiß ich auch nicht, wie wir dieses kleine Dilemma lösen sollen, Vivienne. Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist eine Sünde, und als Christin solltest du das wissen. Ich liebe dich, aber nicht so sehr, um das Heil meiner immerwährenden Seele aufs Spiel zu setzen.Abgesehen davon, wie soll ich meine Gemeinde führen, wenn ich selbst Wasser predige, aber Wein trinke?»
    An diesem Punkt zog meine Mutter scharf den Atem ein und stieß ihn mit einem Zischen wieder aus. «Dann verstehe ich nicht», sagte Vi, «wieso wir überhaupt zusammen sind, John.»
    Es trat ein langes Schweigen ein, und der Lichtstrahl, der in die kleine Vitrine fiel, traf auf eine Schüssel aus rubinrotem Glas und brachte sie dermaßen zum Funkeln, dass sie zu zerspringen schien. Das Schweigen dauerte so lange an, bis der Lichtstrahl zu einer indigoblauen Vase herübergewandert war und durch die Brechung eine ganze Blütenkrone aus blauem Licht an die gegenüberliegende Wand malte.
    Schließlich sagte Reverend Milky in einer Stimme, die so traurig war, dass er mir fast ein wenig leid tat: «Na gut, Vivienne. Wenn du das so willst, dann kann ich wohl nichts dagegen sagen.»
    «Na gut, dann also …», sagte meine Mutter.
    «Okay», sagte Reverend Milky. «Dann geh ich jetzt. Bitte sorg dafür, dass deine Tochter sich die Broschüren zu Gemüte führt, die ich mitgebracht habe.»
    «Wird gemacht», sagte Vi. Man vernahm das Rascheln von Stoff, schlurfende Füße. Die Schritte führten quer durch die Küche und in die Diele, wo sich Milky die Schuhe überstreifte. Dann ging die Tür zur Garage auf und zu, und ich hörte, wie meine Mutter einen tiefen Schluchzer ausstieß und sich dann fasste.
    Ich stand da im Esszimmer, lauschte eine Weile, wie sie sich in der Küche zu schaffen machte, das Klacken ihrer Slipper auf den Fliesen. Ich schaute das kleine Pferd an, das in der langsam herüberwandernden Sonne ganz prächtig aussah, während meine Mutter ins Esszimmer geschlurft kam und zu mir trat. Ihr Gesicht war rot, und sie hatte etwas in den Händen.
    «Reverend Milky hat gesagt, ich soll dir diese Broschüren geben», sagte sie. Dann warf sie die Fetzen in die Luft, wo sie herumwirbelten und langsam um mich herum zu Boden sanken wie göttliches Konfetti.
    Jes,
stand auf einem orangeroten Schnipsel, der auf meinem Ärmel hängen blieb.
    traße des Heils,
lautete die Inschrift auf einem rosa Fetzen, der auf meine Lippe fiel.
    iebt dich,
hieß es auf einem himmelblauen Papierstückchen, das an meiner Hand klebte.
    Ich gab meiner Mutter einen Kuss auf die Wange, und sie fuhr mit der Hand über die Mähne des Pferdes. «Das alte Gäulchen hab ich immer so gern gehabt», sagte sie, und der schmale Streifen ihrer Lippen begann zu beben. Sie legte den Kopf an meine Schulter. Als sie die Hand von dem Spielzeug wegnahm, haftete ihr Fingerabdruck einen Moment lang an dem winzigen Glasauge, dünn wie eine Membran und rund wie eine Spore.
    An jenem Tag lastete die Traurigkeit so schwer auf meiner Mutter, dass es den Anschein hatte, als wären ihre Hände, ihre Füße und der Kopf mit Schrotkugeln gefüllt und viel zu schwer, um sie anzuheben. Immer wieder erwischte ich sie dabei, wie sie ins Leere starrte oder geistesabwesend über das Eisenkreuz an ihrem Hals strich. Am nächsten Morgen ging sie nicht in die Kirche, obwohl es Sonntag war, aber beten sah ich sie überall.
    Als sie am Abend an meinem Zimmer vorbeiging, flüsterte sie: «Rette uns, o Herr …», dann wurde sie immer leiser. Ich hörte, wie sie für sich selbst betete, für mich, für das Seeungeheuer. Denn Flimmy sei die einzige gute Seele auf der Erde, sagte uns ein übel riechender, den Weltuntergang verkündender Schamane, der seit etwa einer Woche im Lakefront Park kampierte, wie eine Fliege angezogen von den Nachrichten über das Seeungeheuer. Als ich eines Tages an ihm vorbeigegangen und ihm einen Dollar gegeben hatte, grabschte er nach meiner Hand. Seine Finger waren dunkel verfärbt und knorrig, wie die Äste einer Eiche. Er und Piddle Smalley, der Stadttrottel, saßen den ganzen Tag einander gegenüber und starrten sich, wie in einemwütenden Duell der Blicke, an, wobei Piddle schier noch verrückter wurde durch die Anwesenheit des Schamanen in seinem Revier, und als der Schamane nach meiner Hand gegriffen hatte, stieß Piddle ein leises Jaulen aus.
    Und so betete meine

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