Die Monster von Templeton
Flüsterton.
«Muss aber», erwiderte er.
«Nein», erwiderte ich.
«Ich bin mir sicher, wenn du ein bisschen drüber nachdenkst, fällt dir noch jemand ein. Auf einer Party oder so, weißt du. Ist dir vielleicht nur entfallen. Aber Willie, jetzt muss ich wirklich aufhören. Ich versuche dich wieder anzurufen. Ansonsten erwarte ich dich am ersten Tag des Semesters in meinem Büro. Kommst du klar, Liebling? Ach, da bin ich mir sicher. Du bist doch zäh, oder? Ein zäher Knochen, wie es so schön heißt. Haha. Also dann. Mach’s gut, Liebes.»
«Entfallen?», fragte ich noch, aber da kam schon das Klicken, und er war weg. Ich holte tief Luft. «Entfallen?», sagte ich noch einmal in die lange Stille hinein, hinein ins Nichts, in dieses große, schreckliche, dunkle Nichts, das in meinem Ohr summte.
Lange Zeit saß ich nur da und war versucht, Clarissa zu erreichen. Doch jedes Mal, wenn ich den Telefonhörer abhob, sah ich ihren kleinenKörper vor mir, wie er erschöpft im Bett lag. Ich konnte es nicht tun. Ich stieg die dunkle Treppe hoch und ging in mein Zimmer.
Und obwohl ich mich so leer fühlte, obwohl ich in mein Kissen weinen wollte, bis es völlig durchnässt war, und mit den Zähnen knirschen und obwohl der alte Geist da war, in einem zarten, zärtlichen Fliederton, kroch ich ins Bett und schlug eines der Bücher auf, die ich mir mitgebracht hatte, und fing an, Jacobs schwülstige Prosa zu lesen. Sein Stil schien gänzlich den Büchern zu entsprechen, in denen er zu lesen war: zerknittert, altmodisch und mit dem Gestank der Jahrhunderte behaftet. Und doch war er faszinierend. Jacobs schrieb gefällig und gefühlvoll, und gelegentlich fand sich sogar eine Bemerkung, die so viel Wahrheitsgehalt hatte, dass sie funkelte wie ein Kristall, den jemand in die Luft wirft.
In jener Nacht sang mir Jacob Franklin Temple mit seiner geschraubten und komplexen Syntax ein Schlaflied. Der Geist zog immer engere Kreise um mich herum, drückte die Luft in mir zusammen, bis es nur noch ganz wenig war, beruhigte mich mit seinem Pulsieren. Dermaßen getröstet und in die Jahrhunderte vor meinem wunden Herzen zurückversetzt, schlief ich irgendwann vor Morgengrauen endlich ein.
Das Esszimmer war im Licht des späten Morgens wie eine Laterne erleuchtet, als ich unten im Erdgegeschoss aufgeregtes Palaver hörte. Ich war aus dem Schlaf hochgeschreckt, bereits aus dem Bett, bevor ich wusste, was ich tat, und auf dem Weg die Treppe hinunter, als ich meine Mutter und Reverend Milky streiten hörte. An der Kante des alten Perserteppichs im Esszimmer blieb ich stehen, um zu lauschen. Der Frühstückskuchen meiner Mutter sandte seine warmen Dufttentakel in die Luft hinaus, doch es lag keine glückliche Stimmung über dem Haus, nicht in diesem Moment. Als sich die Stimme meiner Mutter hob, bewegte ich mich wie ein Krebs rückwärts, auf das Schränkchen in der Ecke zu.
Während ich lauschte, hob ich das kleine Spielzeugpferd vom Esstisch auf und hielt es zerstreut in den Händen. In meinem Unterleib hatten wieder Krämpfe eingesetzt, und ich schaute mir das Pferdchen an, um mich von den Schmerzattacken abzulenken.
Die Stimme meiner Mutter klang beißend, als sie sagte: «John, ich möchte mal festhalten, dass du selber keine Kinder hast. Du weißt deshalb eigentlich wirklich nicht, wovon du redest. Wir sollten also besser das Thema wechseln.»
«Oh, Vivienne», sagte Reverend Milky. «Es ist nichts gewonnen, wenn man dem Problem aus dem Weg geht. Und es ist unabdingbar, dass wir deine Tochter rett…»
«… genau», sagte meine Mutter, «aber es ist sicher jede Menge gewonnen, wenn man vor anderen Themen davonläuft, wie zum Beispiel vor dem, das ich dir gegenüber immer wieder anschneide, von dem du aber nichts wissen willst. Wie zum Beispiel, warum du offenbar nicht das geringste Interesse daran aufbringst …»
«… Vivienne», kam jetzt Milkys Stimme, aus der jeglicher ölige Unterton verschwunden war. «Fang nicht schon wieder damit an. Ich bin ein Mann der Heiligen Schrift, der zu seinem Wort steht, und ich kann einfach nicht, solange wir nicht verheiratet sind. Ich hab es dir schon eine Million Mal angeboten. Wenn du nur endlich einverstanden wärst …»
«… wie du weißt, John, glaube ich nicht an …»
«… das weiß ich, obwohl ich sagen muss, es ist immer wieder ein Schlag ins Gesicht. Ich begreife einfach nicht, was an mir so schrecklich sein soll, dass du mich nicht hei…»
«… und ich sehe nicht, wo das
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