Die Monster von Templeton
Mutter also für Flimmy, sie betete für den Schamanen und auch für den armen, immer feuchten Piddle Smalley. Sie betete für meinen unsichtbaren Vater, auf dass er die Kraft habe zu begreifen, wenn ich zu ihm kam und ihm sagte, dass ich seine Tochter war. Sie betete für das Klümpchen und dafür, dass ich den Mut haben würde, das zu tun, was getan werden musste. Auch für mich betete sie eine ganze Menge. Am Abend ihrer Trennung betete sie sogar für Reverend Milky, dass er etwas lockerer würde und lerne, sich verdammt noch mal endlich zu entspannen. Als sie mich dabei ertappte, wie ich ihr bei diesem Gebet zuhörte, wandte sie sich ab, Spuren eines schuldbewussten Lächelns im Gesicht.
Mein eigener Kummer fühlte sich ganz leicht, fast geisterhaft an. Er half mir dabei, als ich mich durch den gesamten Kanon Jacob Franklin Temples ackerte, durch die populären Bücher ebenso wie durch die exzentrischen, immer darauf bedacht, mich dem feuchten Griff meiner Sorgen zu entziehen. Als ich Clarissa anrief, steckte sie bis zu den Knien selbst in Büchern, und ihre Stimme hatte jenen geistesabwesenden, wie mit Watte gedämpften Ton angenommen, den sie immer dann hatte, wenn sie schwer mit etwas beschäftigt war. «Willie», sagte sie. «Einiges von dem Zeug hier ist wirklich erstaunlich. Hab zwar noch nichts gefunden, aber so langsam, aber sicher wühle ich mich durch den alten JFT. Vielleicht schreib ich ja mal einen Artikel oder so was über ihn.» Ich freute mich für sie, doch nachdem ich aufgelegt hatte, versetzte ich meinem Kissen einen Hieb, als ich wieder an Primus dachte. Obwohl ich meine Joggingrunden vor Morgengrauen wieder aufgenommen hatte und mich dabei ernsthaft bemühte, meine Wut auf ihn abzureagieren, sah ich ihn überall. Er zeigte sich in dem Nebel, der sanft aus dem morgendlichen See aufstieg, in dem Kopfeines Gänseblümchens, auf dem noch streifige Schatten lagen, in den unförmigen Bärenumrissen von alten Baseballfans, die frühmorgens auf der Main Street auf und ab gingen, in den großen, lila Regenwolken, die über der Stadt niedergingen und die Laufkumpels so pitschnass regneten, dass ihre Shirts durchsichtig wurden und den Blick auf ihre Brustwarzen freigaben, die sich durch den Stoff schoben wie die zarten Schnauzen von Mäusen. Ich sah ihn, als meine Mutter und ich schweigend auf der hinteren Veranda saßen, den Schimmer des Mondes auf dem See betrachteten und dabei After-Eight-Eiscreme aßen. Sein Gesicht, wie ein Stempel auf den fernen Hügeln. Ich blinzelte, damit das Bild verschwand, und sagte: «Weißt du noch, als ich klein war, Vi? All die Male, wo wir hier saßen und unser zuckerfreies After-Eight-Eis aus Sojamilch aßen. Erinnerst du dich noch an unser kleines Mantra?»
Und meine Mutter stieß einen Seufzer aus und lächelte zum ersten Mal seit ihrem Streit mit Reverend Milky. «Ich erinnere mich», sagte sie. «Wenn wir fertig waren, dann hast du immer gewartet, bis ich mein Schüsselchen abstellte und sagte: ‹Das ist der Geschmack des Sommers.› Du hast dann immer ohne Grund ganz hysterisch gelacht. Ich hab nie verstanden, wieso.»
«Und?», fragte ich.
«Was, und?», fragte sie.
«Sag’s», verlangte ich.
«Nein, Willie», antwortete meine Mutter, stand auf und stellte meine Schüssel in die ihre. «Es hat keinen Sinn. Ganz egal, wie du dich verhältst, wenn du zu Hause bist – du bist kein kleines Kind mehr.» Dann verschwand sie drinnen und ließ die große Glastür hinter sich ins Schloss fallen.
Gelacht, so erinnerte ich mich, während ich dort ganz allein in der bewölkten Nacht saß, hatte ich damals deshalb, weil meine Mutter, ganz gleich, was für winzige Veränderungen damals mit meinem Körper vorgingen, und ganz gleich auch, welch kleine Dinge Templetonveränderten, immer im genau gleichen Moment das Gleiche sagte, auf die gleiche Art und Weise, mit dem gleichen Tonfall. Mir hatte es Freude bereitet, dass sie eine solche Beständigkeit ausstrahlte, und dass Vi das Einzige auf der ganzen Welt war, das sich nie und nimmer verändern würde.
Richard Temple
Meine Eltern begegneten einmal George Washington, als ich noch ein Säugling war. Damals war meine liebe Mutter noch jung und glücklich; und mein Vater baute an seinem ersten Templeton, dem in New Jersey. Während das Getöse der Revolution langsam näher kam, flohen alle Menschen aus der Stadt, außer meinen Eltern, denen der Grund gehörte, auf dem die Siedlung stand. Damals führten sie auch das
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