Die Monster von Templeton
Nächstes zu Anna sagte, erinnere ich mich nicht, und das erfüllt mich mit großer Traurigkeit, denn es ist eine meiner letzten Erinnerungen an sie. Binnen einer Woche starb sie im Kindbett, und unser Sohn schied nur wenige Minuten nach seiner Mutter dahin, so klein und still, so blau.
In einem ruhigen Moment, vielleicht wenn ich zu Pferde zwischen den Höfen unterwegs bin, um die Pacht einzutreiben, kommen mir manchmal die Worte von Publilius Syrus in den Sinn:
Amor animi arbitrio sumitur, non ponitur,
die Liebe wird aus freien Stücken begonnen,beendet jedoch nicht. Das war einer der wenigen Brocken Wissen gewesen, die mein stets betrunkener Hauslehrer mir während meiner Kindheit in Burlington beigebracht hatte. Ein Spruch, der sich sowohl auf Anna als auch auf meinen Vater beziehen ließ, wenn auch vielleicht in entgegengesetzter Weise. Ich würde nie aus freien Stücken aufhören, Anna zu lieben; sie ist tief in mein Herz eingegraben wie eine Ader in Felsgestein unter der Erde. Und obwohl ich die Liebe zu meinem Vater lieber behalten hätte, wollte mir dies nicht gelingen.
Und ich hatte ihn sehr geliebt. All jene Jahre, als mein Vater fort war, um Templeton zu erbauen, waren meine Mutter und ich allein im Haus gewesen – zusammen mit den Dienern sowie meinem gichtkranken, bösen Großvater Richard. Kam mein Vater dann nach Hause, wie er es ein- oder zweimal im Jahr tat, zerbarst die sanfte, fromme Welt meiner Mutter in tausend Stücke, und es war, als könnte ich erst jetzt die Farben eines Gartens erblicken, wo ich zuvor nur Grau gesehen hatte.
Richard!, rief er dann und reichte dem Stalljungen die Zügel seines Pferdes. Wo ist mein kleines Äffchen? Und ich, der ich mit zehn bereits die Größe eines ausgewachsenen Mannes hatte, kam aus dem Haus gestapft. Er warf mich in die Luft, als wäre ich nichts, nur ein Schoßhündchen, und fing mich wieder auf. Wenn er zu Hause war, versteckte ich mich im Wäscheschrank im Schlafzimmer meiner Eltern und versuchte mir die Züge seines Gesichts einzuprägen, während er schlief. Ich folgte ihm überall hin, wie ein kleinerer, haariger Schatten seiner selbst.
In den Zeiten, wenn er weg war, hieß meine Mutter mich am Abend neben sie zu setzen und sprach mit großer Zufriedenheit von meinem Vater. Sie strickte, ich schnitzte Boote und Häuser aus Kleinholz, und mein Hauslehrer schnarchte entweder vor sich hin oder arbeitete endlos an seinem Versepos, dem an Stelle meiner Ausbildung all sein Interesse galt. Wenngleich ich mich manchmal danach sehnte, draußen durch die Straßen der Stadt zu laufen, war ich es auch zufrieden, meinerMutter Gesellschaft zu leisten, die eine schlichte, aber nicht dumme Seele war, einfach in ihren Gedanken und ihrem Auftreten.
Mich verlangte danach, nach Templeton zu fahren und den See zu sehen, von dem mein Vater mit solcher Wortgewalt sprach, die Einheimischen kennenzulernen und auch den alten Natty Bumppo zu treffen, jenen lustigen und treffsicheren Jäger, von dem er mir schon so viel erzählt hatte. Ich wollte das riesige Seeungeheuer sehen, das die Eingeborenen in ihrer Sprache den Alten Traurigen Geist nannten, obwohl mein Vater nur verächtlich schnaufte, wenn man die alte Legende ansprach, und behauptete, einzig Frauen und Tölpel würden es sehen. Ich wollte auf den Schultern meines Vaters sitzen und das lernen, was er mir beizubringen hatte. Wenn er weg war, schien die Welt grauer zu sein, und meine stille Mutter mit ihren Büchern und ihren Blumen, mit ihren Fehlgeburten, Kindern, die zu schwach für diese Welt waren, eroberte sich ihren rechtmäßigen Platz in meinem Herzen zurück. Dennoch träumte mir des Nachts von Templeton, von dem breiten See wie Glas, von den Hügeln; und in meinen Wunschträumen wurde Templeton zu einem goldenen Arkadien, die Straßen schimmerten mit ihren polierten Steinen, der Wind sang in den Bäumen, und die Menschen darin waren stämmig und hellhaarig, genau wie er.
Und dann, eines Tages, kam mein Vater von Templeton nach Hause und traf meine Mutter nur halbwegs bei Sinnen an, denn sie hatte ein weiteres Kind verloren und Laudanum genommen, weil der Doktor ihr ein paar friedvolle Stunden bescheren wollte. Mein Vater brüllte und brachte das Haus mit seinem lauten Stampfen zum Beben. Er warf dem Arzt seinen Hut ins Gesicht, ordnete die Bediensteten an zu packen. Eine ganze Nacht lang bebte ich vor Freude. Dann ging es also endlich nach Templeton! Als es an der Zeit war aufzubrechen, waren alle
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