Die Monster von Templeton
Leichtathletikwettbewerbe von mir besucht wie nur möglich. Ich bin mir sicher, dass das teilweise auch daran lag, dass die Sportveranstaltungen der Highschool zu den wenigen auf regenden Events in der Stadt gehörten, wenn der Herbst kam, die Luft kühler wurde und die Touristen verschwanden. Doch es war wohl auch so, dass sie mich auf ihre Weise adoptiert hatten. Jedes Jahr am vierten Juli luden sie mich zum Picknick mit ihren Familien ein, und ich ging ohne Vi hin, die an dem Tag immer arbeitete. Als Babysitterin nahm man mich auf Familienurlaube in Disney World und Hilton Head mit, und als ich den Aufsatzwettbewerb
Töchter der amerikanischen Revolution
gewann, hatten alle sechs mir zu Ehren ein Festessen gegeben. Als ich meinen Collegeabschluss schaffte, finanzierten sie mir sogar eine Rucksackreise nach Europa. Vi hatte zwar gemeint, das könne ich nicht annehmen, weil es zu teuer sei, doch sie waren so enttäuscht gewesen und hatten so lange gebettelt, bis sie schließlich einwilligte.
An jenem frühen Morgen war die Luft über Templeton kristallklar. Die Kumpels waren die Lake Street hochgelaufen, vorbei am Otesaga-Hotel, einer Grande Dame aus Backstein, die sich am Wasser sonnte; und waren schließlich nach links in die Nelson abgebogen, an den Tennisplätzen vorbei. Dann ging es die Main Street hoch, am Gericht und dem Blumenladen vorbei, quer über die Bahnlinie und nach links auf die Winter Street. Jetzt näherte ich mich von hinten. Aus sechzig Meter Entfernung konnte ich sie hören, das leise Murmeln ihrer Stimmen und das Trappeln ihrer alten Füße auf dem Boden. Aus dreißig Meter Entfernung konnte ich sie auch riechen, den Schweiß, der fest in den Fasern ihrer Laufklamotten hing, die kleinen Fürze, die sie ließen, wenn sie dachten, die anderen würden es nicht merken.
Und das waren sie:
Johann Neumann, der Vater von Laura, einem Mädchen aus meiner Klasse. Jedes Mal, wenn Johann nach Hause nach Deutschland fuhr, brachte er mir dicke Riegel Marzipan mit, und im Laufe eines frustrierenden Sommers hatte er mir das Tennisspielen beigebracht.
Tom Irving, ein Bär von einem Mann, der mit gebrauchten Autos handelte und mir meine alte Rostlaube fast umsonst gegeben hatte. Als ich mit acht auf dem Weg von der Schule nach Hause war und schluchzte, weil die anderen Kinder so gemein zu mir waren, hatte er mir den Arm um die Schulter gelegt und mich weinen lassen, bis es nichts mehr zu weinen gab.
Der winzige Thomas Peters, mein Kinderarzt, der so klein war, dass ich ihm schon im Alter von zehn Jahren direkt in die Augen blicken konnte, und den meine Mutter immer dann rief, wenn es im Averell Cottage etwas zu richten gab, weil er ebenso gut reparieren konnte, wie er mit Kindern umging, und stets gut gelaunt mit seinem Werkzeugkasten vor der Tür stand.
Sol Falconer, über den man im Ort immer tuschelte, weil er drei Ehefrauen gehabt hatte, reich und kinderlos war. Er hatte mir, auf meinen Wunsch hin, erlaubt, meinen zehnten Geburtstag bei ihm zu feiern, in dem Haus mit dem riesigen Pool, und hatte sogar, weil er es nicht anders kannte, Essen beim Lieferservice bestellt. Seine Familie war alteingesessen, alle Männer hießen Sol Falconer, und manche Leute, die ihm sein Geld neideten, aber um seine Kinderlosigkeit wussten, nannten ihn – statt Sol Falconer den Fünften – Krösus den Letzten.
Frank Phinney, dessen Familie schon immer das
Freeman’s Journal
gehört hatte und der mir während der Collegezeit mein erstes Praktikum vermittelt hatte, für das ich Bildunterschriften verfassen musste. Er war ein Mann, der ohne Punkt und Komma Witze erzählen konnte, was oft so war, als würde man mit einer Feder gekitzelt, bis man es nicht mehr aushielt: ein Spaß, der eigentlich gar keiner ist.
Und schließlich Doug Jones, der an der Highschool mein Englischlehrergewesen war, aussah wie ein gealterter Jim Morrison und immer eine Schar kichernder Mädchen um sich herum hatte, die Nachhilfeunterricht in Sachen Shakespeare bekamen. Mich hatte er im Schultheater als Desdemona besetzt, und wenn ich bei seinen süßen drei kleinen Mädchen babysittete, paukte er mit mir meinen Text. «Nein, nein, Willie. Sag es mit
Gefühl
!», rief er dann, und seine Töchter zwitscherten wie ein kleiner Chor aus Singvögeln.
Sie hatten mich noch nicht bemerkt, und während ich mich von hinten näherte, grinste ich vor mich hin, weil mich eine große Welle der Zuneigung erfasste. In diesem Moment sagte Doug Jones gerade: «…
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