Die Monster von Templeton
anzurufen. Was geschehen würde, wenn er nicht anrief, das wollte ich mir gar nicht erst ausmalen.
Und ich musste den Wagen holen, ohne jemanden zu sehen, den ich kannte, was jedes Mal passierte, wenn ich nach Hause kam. Vor zwei Jahren, als ich zum letzten Mal in Templeton gewesen war, hatte ich bei Great American angehalten, um für Vi etwas einzukaufen, und dabei ein Mädchen getroffen, das bei mir im Graduiertenstudiengang war. Sie schaute sich das Regal mit den Frühstücksflocken an und achtete dabei nicht auf ihre drei Kinder im Einkaufswagen. Es waren ganz schreckliche Bälger mit Glubschaugen und Rotznasen. Und dann drehte Cheri den Kopf, sah mich, und ich durchlebte fünf Minuten höchsten Unbehagens, weil Cheri draufloslaberte, als wären wir die besten Freundinnen, stolz ihre Kinder vorführte, damit ich sie bewunderte, und meinte, wir sollten uns doch mal auf ein Bier treffen. Ich fühlte mich dermaßen unwohl, dass ich vergaß, was ich eigentlich hatte kaufen wollen, und buchstäblich im Laufschritt nach Hause zurückkehrte.Später war ich den ganzen Weg hinaus nach Hartwick zum Price Chopper gefahren, damit ich nicht noch mal zurück zum Great American musste und so das Risiko einging, dass sie immer noch da war, mit ihren glasigen Augen und ihren Bälgern, die ganze Hände voll mit gezuckerten Cornflakes auf den Gang warfen. Wenn ich an Cheri dachte, selbst als ich neben ihr dort im Laden stand, von Plätschermusik beschallt und mit Neonröhren beschienen, stellte ich sie mir im Bett vor, schwitzend und stöhnend, wie sie noch mehr solch furchterregender Kinder produzierte. Einige Leute muss man nur anschauen, und man sieht
Sex.
An jenem Morgen joggte ich heimlich und zittrig zur Main. Schneiders Bäckerei pumpte ihren altmodischen Donut-Geruch auf die Straße hinaus, und mit dem Duftschwall kamen die Erinnerungen. Dort hatte sich einmal der Laden für Puppenhausmöbel befunden, der den Eltern eines Rockstars gehörte und mittlerweile ein Laden für Baseballkarten war. Hier kam das Süßigkeitengeschäft, das Edel-Jellybeans verkaufte. Dort der Baseballkappenladen, der nur die Kopfbedeckungen von minderwertigen Clubs führte und in dem ich einen Sommer lang gejobbt hatte, weshalb ich heute noch einige von ihnen auswendig hersagen konnte: Louisville Bats, Toledo Mud Hens, Montgomery Biscuits, Tulsa Drillers, Batavia Muckdogs, Lansing Lugnuts. Ich lief die Straße entlang, am Cartwright Field vorbei, und noch waren keine Autos unterwegs, kein Verkehr auf der Straße. Der Farkle Park, wo im Winter das Haus des Weihnachtsmannes stand und im Sommer die Kiffer der Highschool herumlungerten und den ganzen Tag mit ihren Footbags und ihren Eiern herumspielten. Mudges Apotheke in dem mit Kupferplatten beschlagenen Gebäude an der Ecke. Dann die Pioneer Street und das Smithy-Gebäude, der Kühne Dragoner, ein altes Pub, das daneben an der Straße kauerte. Augurs Buchladen. Drupers Gemischtwarenladen. Das große Baseballmuseum, vor dem sich bereits eine ganze Schar von begeisterten Fans eingefunden hatte, die vor den Absperrkordeln aus Samt warteten und es nichterwarten konnten, über Würfe und Abschläge zu staunen. Alles war noch da, unverändert, bis auf ein paar mehr Baseballläden jedes Jahr und ein paar weniger interessante Spießerläden für die Einheimischen.
Auch hier hatte eine Veränderung stattgefunden. Früher hatten die Touristen keinen solchen Raum in unserer Aufmerksamkeit eingenommen, denn sie waren nicht Teil des gesellschaftlichen Gefüges in Templeton; sie existierten nur am Rande unseres Lebens, waren lebensnotwendig, aber unwichtig. Seit 1918 das Krankenhaus eingerichtet worden war, bildeten die Ärzte die höchste Schicht in der Stadt, füllten sie mit ihrem Geld und ihrem Grips, gründeten den Country Club und eröffneten Galerien. Gesellschaftlich über ihnen standen nur die wenigen Millionäre des Ortes: der Botschafter, der Eisenbahnmagnat, die wunderbare reiche Frau, die dafür sorgte, dass überall Blumen gepflanzt wurden, die Falconers mit ihrem Bierimperium, ganz zu schweigen von den beiden Zweigen meiner Familie, bevor wir alles verloren hatten. Unterhalb der Ärzte kamen dann die anderen Vertreter der Bildungsschicht: die Leute aus der Krankenhausverwaltung, die Anwälte, Bibliothekare, und unter ihnen dann die Bauern, die durchaus einmal von Bedeutung gewesen waren, nach dem Niedergang der Milchwirtschaft mittlerweile aber nur noch mit Schnaps und Lagerfeuern und
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