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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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bloß neidisch, weil sie sich bei den Fragen immer an mich gewandt hat, stimmt’s, Big Tom? Ich dachte, du würdest gleich in die Kamera kriechen.»
    Worauf der Rest der Männer in schallendes Gelächter ausbrach und Tom Irving sagte: «Zum Piepen, Dougie, wirklich zum Piepen! Aber es stimmt. Ich hätte nie gedacht, wenn ich einmal im Frühstücksfernsehen auftrete, dass ich dann bei euch Dödeln die zweite Geige spielen muss!»
    Dann sagte Johann, mit seinem leichten deutschen Akzent: «Diese Katie Doyle war aber auch wirklich eine Klugscheißerin, findet ihr nicht? Viel hübscher in echt. Viel hübscher.»
    Ich brauchte einen Moment, bis ich merkte, dass sie über das Interview sprachen, das sie am Morgen für das überregionale Frühstücksfernsehen gegeben hatten und in dem es wahrscheinlich um ihre Rolle bei der Entdeckung des Ungeheuers ging. Gerade wollte ich neben ihnen aufschließen und freute mich schon auf das kollektive
Heyyy!
, das sie dann immer riefen, als sich ein Müllwagen kurz zwischen uns schob und mir, als der Fahrer kurz zu mir herunternickte, ein schrecklicher Gedanke kam. Ich hörte plötzlich auf zu rennen und schaute den Kumpels hinterher, die die Straße entlangtrabten.
    Im Grunde, dachte ich, konnte praktisch jeder Mann in der Stadt mein Vater sein. Der Müllmann zum Beispiel. Die Laufkumpels. OderDr. Cluny, der Ruderer, der das Ungeheuer gefunden hatte. Oder der Direktor meiner Grundschule oder der rundliche kleine Bürgermeister oder der Postbote oder der Reinigungsfritze bei Kepler’s. Der Direktor des Baseballmuseums, der Bäcker bei Schneiders Bäckerei, John-John, der Mechaniker bei Dwight. Dwight selber. Dwights geistig zurückgebliebener Zwillingsbruder Derek. Mein Sprinttrainer, mein Kieferorthopäde, jeder der drei stummen älteren Männer, die den ganzen Sommer über im Temple Park Schach spielten. Mr. Clapp, der Bestattungsunternehmer, der Pastor der presbyterianischen Kirche, der katholische Priester, der Eisenbahnmagnat, der Biologe in der biologischen Feldstation, der Stadtbibliothekar, die Väter meiner Freundinnen, o Gott, jeder Mann hätte wirklich mein Vater sein können. Sogar Aristabulus Mudge! Ein Mann, den man in der dritten Klasse heraufbeschwor, wenn man bei jemand anderem übernachtete, in dem gedämpften und doch mutigen Ton, den man sonst nur anschlug, wenn es um den Teufel persönlich ging, ein Mann, der
aussah
wie der Teufel persönlich, mit seinen schwieligen Hörnchen auf dem Kopf und der glänzenden, wie eingelegt aussehenden Haut, ein buckliger, ausgemergelter Mann, dessen Augen so tief in den Höhlen lagen, dass niemand jemals das Weiße gesehen hatte, er, der immer inmitten einer Wolke aus Schmetterlingen durch die Gegend lief, die auf sein Geheiß tot zu Boden fielen wie Pennies, sobald er vorbei war – selbst
er
hätte mein Vater sein können, selbst
Aristabulus Mudge
hätte der Mann sein können, der wie ein Wurm in mein Leben hinein- und wieder hinausgekrochen war, mit einem Ratschen des Hosenstalls und einem Seufzen der Erleichterung. Ich spürte, wie mein Herz aus dem Takt geriet, und dachte in meinem Hang zum Melodrama, dass ich an meinem Kummer sterben würde.
    Doch dann schlug mein Herz natürlich wieder normal weiter, und am Ende der Straße bogen die Laufkumpels nach links ab, um zurück zur Turnhalle zu laufen. Mir war schlecht. Ich kam mir vor wie das Vögelchen in diesem schrecklichen Kinderbuch von P. D. Eastman, das herumläuftund jeden – die Kuh, den Hund, das Flugzeug – fragt: «Bist du meine Mutter?» Ich würgte in den Gully und richtete mich wieder auf, doch mir war immer noch übel.
    Mittlerweile war ich bei der Grundschule angelangt, einem gedrungenen Gebäude, das aussah wie ein Legostein. Zurück in die Stadt würde ich über die Walnut Street laufen, dann die Chestnut, möglichst unbemerkt über die Main Street weiter und dann zu der Stelle, wo ich meinen Wagen geparkt hatte, gegenüber dem Baseballmuseum und gleich beim Postamt. Und dann würde ich die Auffahrt von Averell Cottage hochfahren und all meine Klamotten und Bücher reintragen, alles, wodurch ein Zuhause wohnlich wird. Und dann würde ich dort bleiben, bis ich schwarz wurde, bis das Klümpchen endlich rauskam oder Primus Dwyer anrief, und bis dahin, das schwor ich mir, würde ich nichts tun. Bis ich nicht mit Primus Dwyer gesprochen hatte, würde ich keine Entscheidung treffen, was das Klümpchen anging, und es kam einfach überhaupt nicht infrage, ihn selbst

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