Die Moralisten
weil seine Gedanken unablässig um die Geschichten kreisten, die der Feldwebel von den wüsten Orgien im Palast des Duce erzählte.
Und dann hatte Cesare sie gesehen - das Mädchen. Sie war hinter Gandolfos Haus hervorgekommen, ein animalisches Geschöpf, groß, schlank, vollbusig. Sie trug einen Schlauch Wein, den sie vom Kühlschuppen am Bach hinten auf dem Feld geholt hatte. Als das Mädchen Cesare sah, blieb sie stehen.
Auch er machte halt und musterte sie. Die Tageshitze saß ihm noch im Körper, er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht.
»Vielleicht möchte der Signore zur Kühlung einen Schluck Wein trinken?« fragte das Mädchen mit weicher Stimme.
Er nickte wortlos, nahm den Schlauch und hielt ihn so hoch, daß der Wein ihm in die Kehle rann und etwas über sein Kinn tropfte. Der herbe Trank wärmte und erfrischte zugleich.
Als er ihr den Schlauch zurückgegeben hatte, blieben sie stumm voreinander stehen und sahen sich an.
Von Busen und Hals stieg ihr langsam die Röte in die Wangen, und sie senkte den Blick. Er bemerkte, wie ihre Brust sich hob und den Stoff der dünnen Bauernbluse straffte. Da wandte er sich ab und schritt auf den nahen Wald zu. In dem durch Generationen ererbten Bewußtsein, hier Besitzrechte ausüben zu können, sagte er kurz: »Komm mit!«
Gehorsam folgte sie ihm tief in das Gehölz. Hier standen die Bäume so dicht, daß der Himmel kaum zu sehen war.
Sie ließ sich neben ihm zu Boden sinken und sprach kein Wort, während er begann, ihr die Kleider vom Leibe zu zerren.
Bevor er sie nahm, betrachtete er einen Augenblick die Linien ihres Körpers, die Brüste, den flachen, muskulösen Leib. Ein Machtbewußtsein, wie er es noch nie gekannt hatte, erfüllte ihn.
Es war spät, als er sie verließ. Als er schon fast am Rande der kleinen Lichtung war, rief sie: »Signore!«
Er blieb stehen und drehte sich um. Sie war aufgestanden, ihre nackte Gestalt schimmerte im Dunkeln. Ihre Augen leuchteten wie kleine, vom Mond beschienene Teiche. Sie war stolz und befriedigt. Die andern wurden bestimmt eifersüchtig, wenn sie ihnen davon erzählte! Der hier war kein Arbeiter, kein wandernder Erntehelfer. Er war von edlem Blut, dieser künftige Graf Cardinali.
»Grazie!« sagte sie.
Er nickte kurz, eilte durch den Wald und war schon außer Sicht, bevor sie sich bücken konnte, um ihre Kleider aufzuheben.
Sechs Wochen später erst hörte Cesare wieder von ihr, in der Fechtschule unten im Dorf. Der alternde Maestro hatte es aufgegeben, mit ihm noch die Klingen zu kreuzen, denn dieser Schüler war ihm an Gewandtheit längst überlegen. Cesare erschien zu den Stunden nur noch, um in Übung zu bleiben.
Er trainierte gerade, als die Tür aufging und ein junger Soldat den kleinen Trainingsraum betrat. »Wer von Ihnen hier ist Cesare Cardinali?« fragte er.
Plötzlich wurde es still in dem Raum. Die beiden jungen Männer, die gerade gefochten hatten, legten ihre Degen beiseite und drehten sich nach dem Besucher um. Cesare, der in einer Ecke Hanteln gestemmt hatte, kam langsam näher und blieb dicht vor dem Soldaten stehen. »Das bin ich.«
Der Soldat fixierte ihn scharf. »Ich bin der Verlobte meiner Kusine Rosa«, sagte er, sich mühsam beherrschend.
Cesare blickte ihn offen an. Er kannte kein Mädchen dieses Namens. »Wen meinen Sie?« fragte er höflich.
»Rosa Gandolfo«, erwiderte der Soldat. »Und ich werde von meinem Posten in Rom abberufen, um sie zu heiraten, weil sie von Ihnen ein Kind erwartet.«
Cesare blickte ihn einen Moment verblüfft an, dann erkannte er die Zusammenhänge. »Ist das alles?« fragte er heiter. »Ich werde mit meinem Vater, dem Grafen, sprechen, damit Sie etwas Geld bekommen.«
Klatschend fuhr ihm die Hand des Soldaten ins Gesicht. »Ich verlange Genugtuung!«
Auf Cesares weißem Gesicht zeichneten sich deutlich die Finger des Soldaten ab. »Die Cardinalis sehen keine Ehre darin,
sich mit Proleten zu schlagen«, sagte er.
»Die Cardinalis sind Feiglinge, Zuhälter und Frauenverführer!« zischte der Soldat haßerfüllt. »Und du, ein Bastard ihres Hauses, bist der Schlimmste!«
Eine blitzschnelle Bewegung von Cesares Hand, und der Soldat lag am Boden.
Cesare blickte auf ihn hinunter. Ein seltsamer Ausdruck kam in sein Gesicht, seine blauen Augen wurden dunkel, fast schwarz. Er sah den Maestro an. Es war schon lange her, seit jemand gewagt hatte, auf seine uneheliche Geburt anzuspielen. »Geben Sie ihm einen Degen«, sagte er gelassen.
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