Die Moralisten
Monate später ging sie nach New York. Der Manager in Jeds Firma sagte ihr, er sei nach Kalifornien gezogen, aber der Fotograf wohnte noch in der Stadt. Das eigenartige an der ganzen Sache war, daß Jed recht gehabt hatte. In New York war sie wirklich richtig. Es dauerte keine zwei Wochen, da hatte sie ein Angebot für ein Titelbild in der Vogue. In einem Jahr gehörte sie zu den gefragtesten Mannequins von New York.
Eines Nachmittags hatte sie mit ein paar neuen Kleidern vor dem Plaza Hotel posiert. Zu ihren Requisiten gehörte ein hellroter Sportwagen, ein Alfa Romeo. Als sie für eine Aufnahme gerade die Wagentür aufhielt, kam der Manager der Agentur zu ihr. In seiner Begleitung war ein großer, schlanker,
fremdländisch aussehender Mann.
Der Mann war ungemein attraktiv und strahlte etwas Dämonisches aus. Wenn er lächelte, sah man seine kräftigen weißen Zähne.
»Barbara«, sagte der Leiter der Agentur, »ich möchte dir Graf Cardinali vorstellen. Er war so freundlich und hat uns den Wagen für die Aufnahmen zur Verfügung gestellt.«
Barbara sah ihn an. Graf Cardinali. Den Namen kannte sie. Es war einer dieser Namen, die man immer in der Zeitung liest. Ein fast legendärer Name wie De Portago und Pignatari, von denen man sich nicht recht vorstellen konnte, daß sich dahinter wirkliche Menschen verbargen.
Cesare verbeugte sich und gab ihr einen Handkuß. »Sehr erfreut.« Er lächelte.
Sie lächelte zurück und nickte, er ging, und sie arbeitete weiter. Als sie sich abends Hosen angezogen und es sich vor dem Fernseher bequem gemacht hatte, da klingelte das Telefon. Sie nahm ab. »Hallo.«
»Barbara?« Am Telefon war sein Akzent etwas stärker. »Hier ist Cesare Cardinali. Was halten Sie davon, wenn ich Sie für heute abend zum Essen einlade?«
»Ich - ich weiß nicht«, meinte sie, ganz verwirrt. »Ich hatte es mir gerade bequem gemacht.«
Seine Stimme klang sehr bestimmt. »Das macht doch nichts. Vor elf Uhr hole ich Sie sowieso nicht ab. Wir gehen ins El Morocco.«
Er legte auf, bevor sie eine Antwort geben konnte. Sie ging ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne einlaufen. Erst als sie in dem dampfenden Bad saß, kam ihr zum Bewußtsein, daß sie wirklich an diesem Abend mit ihm ausgehen würde.
Als sie später zusammen in dem Restaurant saßen, hob er sein Champagnerglas. »Barbara«, sagte er, und seine Stimme klang ernst, »die ganze Stadt spricht davon, daß Sie sich vorgenommen haben, eine ständige Begleiterin von Playboys zu werden. Das gefällt mir. Und noch besser fände ich, wenn Sie mir erlauben, Ihnen bei diesem Vorhaben behilflich zu sein.«
»Wie bitte?« Sie sah ihn mit großen Augen an. Aber er lächelte, und da merkte sie erst, daß er sich über sie lustig machte. Sie lächelte auch und hob ihr Glas. Er mußte noch viel lernen über Umgang mit amerikanischen Frauen.
Cesares Stimme brachte sie jetzt zurück in die Wirklichkeit. »Ich hole Sie um halb zehn ab«, sagte er. »Dann bleibt mir noch genügend Zeit, beim Gericht vorzusprechen und meine Papiere mitzunehmen, bevor wir zum Flugplatz fahren.«
»Gut«, sagte sie. »Ich halte mich pünktlich bereit.«
Drittes Kapitel
Cesare fuhr den roten Alfa Romeo auf einen Parkplatz neben dem Gerichtsgebäude. Er lächelte Barbara zu.
»Warten Sie bitte ein paar Minuten? Ich hole nur schnell meine Papiere.« Er stieg aus und ging auf das Gerichtsgebäude zu. Barbara blickte ihm nach, bis er unter der Inschrift U.S. Department of Immigration and Naturalization im Gebäude verschwand. Wie jungenhaft er in vieler Hinsicht noch ist, dachte sie.
Daß sie jetzt mit ihm hierherfuhr, wie war das gekommen? Er hatte sie vorige Woche angerufen und ihr mitgeteilt, daß er soeben aus Europa zurückgekehrt sei. Er habe dort seine Heimat besucht. Sein Entschluß sei nun endgültig gefaßt: Er wolle amerikanischer Bürger werden. Die Dokumente habe er schon beantragt, und er brauche sie jetzt nur noch abzuholen. Ob sie Lust habe, mit ihm zur Feier dieses Ereignisses eine Woche zu verreisen - irgendwohin, wo die Sonne schien.
Sie hatte zugesagt. Als das Gespräch beendet war, hatte sie vor sich hingelächelt. Vielleicht war es ihm diesmal ernst mit seinem Flirt? Sie hatte mancherlei über seine früheren Affären erfahren, aber eine ganze Woche. In einer Woche konnte viel passieren.
Hinter dem Gerichtsgebäude entstand Lärm. Sie sah hinüber. Dort schien sich eine Menschenmenge anzusammeln. Ein Polizist ging am Parkplatz entlang. Neben
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