Die Moralisten
hinter der Stewardeß schloß, dann setzte sie sich auf das Bett und hob nachdenklich das Glas Orangensaft an die Lippen.
Das Telefon summte. »Mr. Crane ist an Bord«, verkündete die Stewardeß.
»Kann ich mit ihm sprechen?« fragte Sofia. »Wählen Sie die Elf. Er ist bei sich in der Lounge.« Sofia drückte die Wähltaste, und Judd meldete sich. »Ich würde gern mit dir reden«, sagte sie. »Bist du allein?«
»Ja«, antwortete er. »Komm rauf.« Fast Eddie hielt ihr die Tür auf, als sie in Judds Aufenthaltsraum trat.
Judd trank seine übliche Cola. »Gut geschlafen?« fragte er lässig. »Danke, sehr gut.« Ihre Stimme klang schnippisch. »Darf ich fragen, warum du mich weiterhin wie eine Hure behandelst?«
»Ich verstehe nicht ganz ...«
»Ich brauche deine blöden französischen Kleider nicht«, platzte sie wütend heraus. »Meine Sachen sind gut genug.« »Vielleicht für Dubrovnik und den restlichen Ostblock, aber jetzt kommen für dich andere Zeiten«, entgegnete er kühl, »Jetzt bist du mit mir unterwegs. Da mußt du die Schönste sein.«
Sie starrte ihn fassungslos an. »Ich bin Ärztin, kein idiotisches Fotomodell.«
»Dann kannst du nach Jugoslawien zurückfliegen. Wenn du nicht so schön aussehen willst, wie du wirklich bist, kann ich dich nicht brauchen. Ich bin sicher, es gibt noch andere Ärzte, die tun können, was Dr.
Zabiski erwartet.« Sofia schwieg.
Judd nahm die goldene Phiole vom Tisch und hielt sie ihr hin. »Komm, schnuppere mal. Dann geht es dir gleich wieder besser.«
Plötzlich lachte Sofia. »Na, wer spielt hier nun den Arzt?« »Der Doktor bist du.« Er hielt ihr den goldenen Löffel unter die Nase. »Entschuldige , wenn ich auch eine schöne Frau in dir sehe.«
Das Kokain verbesserte ihre Stimmung sofort. »Ich habe so vieles vergessen«, sagte sie leise.
»So, dann können wir ja anfangen. Ich habe die Untersuchungsberichte da, die du verlangt hast.« Er legte einen Schnellhefter auf den Tisch.
Sofia las: JUDD MARION CRANE, MEDIZINISCHER UNTERSUCHUNGSBERICHT 1976. Im Inneren befanden sich sieben Seiten, die dicht mit Computerschrift bedeckt waren. GEBOREN: 25. JUNI 1934 NEW YORK DOCTOR'S HOSPITAL 17 UHR 01 VATER: SAMUEL TAYLOR CRANE GEB. 17. NOV. 1889 GEST. 18. FEB. 1962
Barbara stand am Fenster und sah hinunter auf den schneebedeckten Central Park. »Dein Vater hat immer gesagt, das wäre die schönste Aussicht in New York: weißer Schnee im Central Park und dahinter die graue
Silhouette der Wolkenkratzer mit ihren Glasfronten.«
»Mein Vater war ein merkwürdiger Mann«, bemerkte Judd. »Nur für dich«, sagte sie. »Und auch nur deshalb, weil er dein Vater war. Alle Kinder denken, daß ihre Eltern merkwürdig sind.«
»Du hast ihn sehr geliebt, nicht wahr?« »Ja«, sagte Barbara schlicht.
»Warum habt ihr so lange gewartet, bis ihr geheiratet habt?« fragte Judd.
»Er hat mich nicht vorher gefragt.« »Aber du bist bei ihm geblieben.«
»Du meinst, ob wir miteinander geschlafen haben?« fragte sie. »Nein.«
Judd lächelte. »Merkwürdig, ich habe immer gedacht, ihr hättet ein Verhältnis.«
»Das haben alle gedacht.« Ihre Stimme klang müde. »Aber de in Vater hatte seine Prinzipien. Geschäfte und persönliche Gefühle hat er nie miteinander vermischt.« »Wie dumm von ihm.«
»Vielleicht.« Sie zögerte. »Aber jetzt ist es vorbei. Es spielt keine Rolle mehr.«
Judd verstummte für einen Moment. »Wie fühlst du dich heute?«
»Mir geht es gut. Nur ein bißchen betäubt bin ich, jetzt, da es tatsächlich passiert ist.«
»Es wird eine riesige Show, eine Zirkusveranstaltung, ein Jahrmarkt der Eitelkeit werden«, sagte Judd böse. »Die ganze Welt eilt herbei. Nur Kennedy nicht. Der Präsident hat ihn nie gemocht. Vielleicht hat es ihm nicht gefallen, daß mein Vater mehr Geld hatte als sein Vater. Immerhin schickt er Vizepräsident Johnson zum Begräbnis. Johnson hat meinen Vater immer gemocht. Er mag alle Leute mit Geld oder Macht.«
Barbara lächelte müde. »Das war deinem Vater egal, als er noch lebte. Und jetzt ist es ihm erst recht egal.« Judd nickte. »Darüber wollte ich mit dir reden. Es ist geplant, daß er nach der Aussegnung in der Thomaskirche zum Krematorium gebracht werden soll, nicht wahr?« »Das hat er sich so gewünscht. Die Vorstellung, auf einem Friedhof beerdigt zu werden, war ihm unangenehm.«
Ich habe einen besseren Vorschlag. Ich möchte nicht, daß mein Vater verbrannt wird. Ich möchte, daß er ins Laboratorium nach
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