Die Moralisten
Boc a Raton gebracht wird.« »Wozu soll das gut sein?« fragte Barbara. »Das Bestattungsinstitut hat ihn doch längst präpariert.«
»Nein«, entgegnete Judd. »Im Bestattungsinstitut ist mein Vater überhaupt nicht gewesen. Ich habe vera nlaßt, daß er fünf Minuten nach seinem Tod im Krankenhaus eingefroren wurde.«
»Du glaubst doch nicht etwa, daß man ihn im nächsten Jahr wieder auftauen kann, wenn das Medikament gegen seine Krankheit endlich entdeckt ist? Das ist doch Unsinn!« »Nein, darum geht es mir nicht.« Judd atmete tief ein. »Aber wir sind jetzt technisch in der Lage, die Zellen in seinem Körper genetisch zu unte rsuchen und mit Hilfe der DNS-Methode die Ursache seiner Krankheit zu finden.« »Das klingt nach Le ichenschändung.« Barbara klang entrüstet.
»Das ist es nicht«, sagte Judd ernst.
»Ich weiß nicht.« Sie wirkte nachdenklich. »Die Wünsche deines Vaters waren ganz eindeutig.«
»Seine Wünsche verpflichten uns zu gar nichts. Jetzt, wo er tot ist, gehört ihm sein Körper nicht mehr.
Seine Leiche ist dein Eigentum, und du kannst damit tun, was du willst. So steht es im Gesetz.«
»Ist das der Grund, warum du mich fragst?« Judd nickte. »Als Ehefrau bist du zu den entsprechenden Verfügungen berechtigt, nicht ich.« »Was für Rechte hast du denn?« fragte Barbara. »Keine. Es sei denn, du wärst vor ihm gestorben und ich wäre der nächste Verwandte.«
Barbara dachte einen Augenblick nach. »Ich glaube, ich brauche jetzt etwas zu trinken.«
Er ging zur Bar und goß Scotch in zwei Gläser. Sie tranken, ohne zu sprechen. Schließlich hob Barbara den Blick. »Glaubst du, daß es jemandem hilft?« »Das weiß ich nicht. Aber wir versuchen herauszufinden, welche Voraussetzungen nötig sind, um länger zu leben. Zu diesem Zweck habe ich das Forschungszentrum in Boca Raton gebaut. Vielleicht hätten wir sein Leben verlängern können, wenn wir früher angefangen hätten.« »Und du, Judd«, fragte sie leise, »was möchtest du?« »Ich möchte ewig leben.«
Sprachlos starrte ihn Barbara an, dann leerte sie entschlossen ihr Glas.
»Gut, Judd, ich werde mitmachen.«
Er zog ein Schriftstück aus seiner Tasche. »Du mußt das hier unterschreiben.«
Sie warf einen Blick auf das Schriftstück. »Du warst dir wohl sicher, daß ich zustimmen würde?« »Ja.«
»Und wieso?«
»Weil wir uns alle geliebt haben.« Er hauchte ihr einen Kuß auf die Wange.
Sie hob den Kopf und lächelte ihm zu. »Du bist deinem Vater so ähnlich, und doch seid ihr so verschieden.
Dir fehlt der Sinn für Macht und Besitz. Dein Vater wollte jede Firma und jedes Geschäft, das in sein Blickfeld geriet. Du begnügst dich damit, die Stellung zu halten.«
»Was die Erweiterung des Konzerns betrifft, hat mein Vater schon alles geleistet. Auf diesem Gebiet gibt es nichts mehr zu tun. Er hat eine Maschine geschaffen, die einem Perpetuum mobile ähnelt. Selbst wenn keiner von uns sich darum kümmern könnte, wenn wir alle weg wären, liefen die Ge schäfte reibungslos weiter.«
»Hast du deshalb vor drei Jahren mit dieser Sache angefangen?« fragte sie. »War es eine Art Experiment?« Judd nickte.
»Dein Vater hat sich darüber ziemlich aufgeregt. Zunächst jedenfalls. Aber ich glaube, daß er dich dann allmählich verstanden hat.«
»Hoffentlich«, seufzte Judd. »Ich erinnere mich noch genau an jenen Tag, an dem er mir die Geschäfte übergab. Es war in der Woche, als ich mein Exa men am Massachusetts Institute of Technology abgelegt hatte. Ich erzählte ihm von meinen Plänen bezüglich des Forschungsinstituts in Boca Raton.«
Das hat er überhaupt nicht begriffen«, lächelte Barbara. »Es brachte ja kein Geld ein.«
»Da hat er recht gehabt«, bestätigte Judd. »Aber er hat mich trotzdem nicht daran gehindert.«
»Und er hat Wort gehalten. Er hat gesagt, es sei deine Sache, die ihn nichts anginge.«
Es war an einem Junitag gewesen: Sein Vater saß am Schreibtisch, als Judd sein Büro betrat, und einen Moment lang war Judd erschrocken, wie mager und schwach sein Vater jetzt aussah. Dann sah er ihm in die Augen, und voller Erleichterung stellte er fest, daß das Leuchten noch da war. Er küßte erst seinen Vater und dann Barbara auf die Wange und begrüßte dann Judge Gitlin sowie drei weitere Rechtsanwälte und Buchprüfer, die hinter einem Stapel von Akten und Dokumenten am Konferenztisch
saßen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes hing eine Schautafel, die ein graphisches Schema des
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