Die Moralisten
Konzerns zeigte. Die Besitzverhältnisse und deren Verflechtung waren als Netz von dünnen Linien dargestellt, und unter dem Namen jeder Firma stand der Name des Geschäftsführers und seines Stellvertreters.
Sam Crane erhob sich vom Schreibtisch, nahm seinen Stock und durchquerte mühsam das Zimmer. Er setzte sich an den Konferenztisch und bedeutete Judd, neben ihm Platz zu nehmen. Barbara setzte sich ebenfalls neben ihren Mann, Judge Gitlin setzte sich neben Judd.
Alle schwiegen. Schließlich holte Sam Crane tief Atem und sprach: »Der König ist zwar nicht tot, aber er tritt mit sofortiger Wirkung zurück.« Keiner sagte ein Wort.
»Ihr habt alle gewußt, was ich vorhatte«, fuhr Judds Vater fort. »Vielleicht habt ihr nicht geglaubt, daß ich mein Vorhaben tatsächlich ausführen werde. Jetzt wißt ihr, daß ich es ernst gemeint habe.«
Immer noch herrschte Schweigen im Raum. »Judd hat ebenfalls Wort gehalten. Er hat sein Studium in Harvard beendet, er hat sein Examen am M. I. T. abgelegt, und in der Zwischenzeit hat er jede Fabrik und jede Firma besucht, die wir kontrollieren.«
Er unterbrach sich für einen Moment und trank einen Schluck Wasser. »Die Übergabe der Verantwortung von einer Generation auf die nächste ist stets eine schwierige Sache. Das gilt für große Betriebe genauso wie für Staaten und ihre Regierungen. Mein Vater hatte den Ehrgeiz, einen Konzern aufzubauen, der auf allen Gebieten des amerikanischen Wirtschaftslebens eine führende Rolle einnehmen konnte. Mein eig ener Ehrgeiz war darauf gerichtet, diese Firma zu einem multinationalen Konzern auszubauen, der die ga nze Welt umspannt, der das Geld und die Macht hat, Regierungen in aller Welt zu beeinflussen, und der in der Liste der führenden Konzerne der Welt ganz obenan steht. Aber dieses Ziel war mein Ziel. Mein Sohn hat vielleicht ein ganz anderes Ziel.« Noch einmal trank Sam Crane einen Schluck Wasser. »Was ich in all diesen Jahren gelernt habe, läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Macht ist sowohl gut als auch böse. Dessen war ich mir immer bewußt, und ich habe mich bemüht, sie nicht zu mißbrauchen. Ich will nicht leugnen, daß gelegentlich das Böse die Überhand gewonnen hat, aber dennoch hoffe ich, daß am Ende das Gute, das ich bewirkt habe, doch überwiegt.«
Der alte Mann räusperte sich. »Ich will euch nicht mit den technischen Details langweilen, die mit der Übergabe der Verantwortung an meinen Sohn verbunden sind. Sowohl die rechtlichen Grundlagen als auch die praktischen Einzelheiten sind geklärt. Mein Sohn wird alle Rechte und Pflichten übernehmen, die ich jetzt besitze und die vor mir mein Vater gehabt hat.« Damit wandte er sich an Judge Gitlin: »Jetzt bist du dran, Paul.«
Judge Gitlin erhob sich. »Ich habe die nötigen Vereinbarungen auf ein Minimum zu reduzieren versucht, aber trotzdem sind noch über zwanzig Schriftstücke in sechsfacher Ausfertigung zu unterschreiben. Du mußt sie unterschreiben, Sam, und Barbara und Judd müssen sie auch unterschreiben; meine Kollegen und ich müssen die notarielle Beglaubigung leisten. Das Ganze wird wohl einige Zeit in Anspruch nehmen.
Hältst du das durch, Sam?«
»Ich schaffe das schon«, beruhigte ihn der alte Mann. »Fangen wir an.«
Judd mischte sich ein. »Vater, vielleicht sollte ich erst
einmal meine Pläne und Vorschläge erläutern.«
Sein Vater winkte ab. »Ich will das alles nicht wissen. Ich habe dir gesagt, daß ich dir die Verantwortung für alle Unternehmungen übertrage.«
»Gut«, sagte Judd. »Dann können wir anfangen.« Der Rechtsanwalt breitete die Schriftstücke vor ihnen aus. Es dauerte zwei Stunden, bis sie alles unterzeichnet hatten. Der alte Mann war müde und grau im Gesicht, als er den Federhalter endlich aus der Hand legen konnte. Judd schwieg, als er das letzte Blatt weglegte. Sein Vater beugte sich zu ihm herüber und küßte ihn auf die Wange. »Gott mit dir, mein Junge.«
Barbara war aufgestanden und küßte Judd auf die andere Wange. Dann gratulierten die anderen, Judge Gitlin allen voran.
Judd wartete, bis sich alle wieder gesetzt hatten. Dann erhob er sich. »Vielen von euch wird vielleicht nicht gefallen, was ich vorhabe. Aber nachdem ich jetzt, wie mein Vater gesagt hat, ganz allein verantwortlich bin, muß ich tun, was ich für richtig halte.«
Er legte eine kleine Pause ein und fuhr dann fort: »Ich habe die Absicht, die Geschäftsführer sämtlicher zu unserem Konzern gehörigen Betriebe in den
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