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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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dir erschienen?« (Andere Frage unseres Gastgebers, welchem spürbar daran lag, das zu erfahren.) »Erst einmal als jemand Sorgloser. Als Kindskopf, zumindest solange du mit den anderen warst. Eine Spielernatur. Flapsig gabst du dich, schienst deine Kumpane nicht ernst zu nehmen. Eher am Rand, aber insgeheim der Mittelpunkt, mit dem Gehabe eines, der, ohne speziell von jemand gesehen zu werden, sich ständig bewußt war, daß er gesehen wurde. Wenn einer dir etwas sagte schautest du an ihm vorbei und dachtest an ganz anderes. Oder du verstandest nichts, kein einziges Wort, auch nicht, als das Gesagte wiederholt wurde, und bei der nochmaligen Wiederholung erst recht nicht. Nicht bloß begriffsstutzig wirktest du da in meinen Augen, sondern schlichtweg dumm, stockdumm, als einer der, wie heißen die doch? ›Hausstöcke‹, von denen seinerzeit in deinen Büchern immer wieder die Rede war, ein Hausstock, der seine Tage verbringt, in die leere Zimmerecke, beziehungsweise in den ›Narrenkasten‹ zu schauen. Doch im nächsten Augenblick: Plötzlich hast du zugehört. Ein einziges Wort, auch ein bloßer leicht veränderter Stimmklang haben genügt, und du warst, wie ich das kaum je erlebt habe, und schon gar nicht bei meinen Meerstadt- oder Binnenlandliebschaften, ganz Ohr, ganz da. Zum Zuhören hast du dann sogar deinen Wasserhahn abgedreht. Rot angelaufen ist dein Gesicht, einzig vom Übergehen dessen, was dir gesagt, mitgeteilt, erzählt wurde, auf dich, und du hast abwechselnd genickt, den Kopf geschüttelt, die Fäuste geballt, die Finger gespreizt. Und im Handumdrehen hast du so die Autorität zurückgewonnen, die dir in deinen Idiotenmomenten beinah schon entglitten schien. Und dann war es aber solchen vollendeten Zuhörens auch genug getan; den Wasserhahn wieder aufgedreht und mir nichts, dir nichts weiter Feierabend gespielt, Zeithaben, Gegenwart, Fürsichsein, Miteinander.«
    »Ich beschloß, den Zug zurück in mein galizisches Dorf zu versäumen und dem Doppelgänger, oder was er eben war, meines Autors noch eine Zeitlang hinterherzuschnüffeln. (Übernachten würde ich in der Stadt bei der oder der, oder weißgott bei welcher.) Ich wartete vor der Fischhalle, bis er herauskam, als letzter, durch die letzte noch offene Tür, die er absperrte, mit Hilfe eines an eine Waffe, einen Morgenstern gemahnenden Schlüsselbunds. Den richtigen Schlüssel herauszufingern nahm ihm so viel Zeit, daß ich darin endlich einen Rest seiner früheren Unbeholfenheit erkannte. Er war allein, hatte sich, wenn er es denn war, neuerlich umgekleidet und flanierte abendwärts in einem sommerlich hellen Anzug unter dem offenen, überlangen Staubmantel, auf dem Kopf eine karierte Mütze, die so gar nicht zu einer Küstenstadt im nördlichen Spanien paßte, an den Füßen Tennisschuhe. Fast gespenstisch, wie er, gerade in solcher Verkleidung, noch um, hätte ich an einer Filmkamera gestanden, einige Schärfengrade deutlicher erschien als der, der er war, oder den ich halluzinierte als ihn. Im übrigen war es ja von ihm bekannt, daß bei denen, die, auf die eine oder andere Weise, sich sein Gesicht oder auch bloß seine Art, sich zu bewegen, gemerkt hatten, gleichwelche Verkleidungen und Tarnungen auf der Stelle durchschaut wurden. Selbst im Aufzug eines Mondfahrers oder eines Montana-Cowboys wäre ihm von demjenigen welchen, gleichwohin auf der Erde er seine Bögen beschrieben hätte, ohne auch nur ein fragendes Beäugen, ein ›Hallo, da sind Sie ja wieder!‹ oder ein ›Jetzt habe ich dich!‹ entgegengeschallt. Er war so oder so unverkennbar.«
    »Wie zu Mittag in dem Leichenzug wendete er, wie er so kreuz und quer durch die Stadt ging, fortwährend den Kopf über die Schulter. Ein seltsamer Gegensatz war das zu seinem Dahinschlendern und sich leichtfüßig durch die Menge Schlängeln. Er erwartete jemanden hinter sich (gewiß nicht mich), und er erwartete von diesem Jemand nichts Gutes. Als einer auf der Flucht erschien er mir, als einer, der sich nach seinen Verfolgern umschaute, nein, einem einzigen. War er zuerst noch eher gemächlich durch die Straßen gekurvt, so verfiel er dann in ein Zickzack und schlug zunehmend Haken. War das vielleicht weiter ein Spiel, ein Spiel mit sich selber, mit der eigenen Einbildung? Und wieder nein: wenn ein Spiel, dann galt das jemand anderem. Seine tänzelnde Flucht, oder sein betontes Fluchtspielen, sollte den Verfolger aufmerksam oder überhaupt erst zu einem Verfolger werden lassen.«
    »Dazu

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